Brigade Dirlewanger
Kröpfchen. Er hat einen regelrechten Pendelverkehr in die Heimat eingerichtet. Er schiebt. Waggonweise. Er bringt es fertig, sogar Transporte mit lebendem Vieh nach Württemberg abgehen zu lassen.
Jetzt geht er auf und ab. Hauptscharführer Müller-Würzbach nimmt im Stehen die Blickrichtung auf. Wie ein dressierter Hund. Die Uniform des SS-Obersten stammt aus einem Maßatelier, aber sie schlottert an der hageren Gestalt herum. Nie saßen die Uniformen richtig, die Dirlewanger ein ganzes Leben lang trug: das Feldgrau als Reserveoffizier, die Senffarbe als SA-Mann, die Zebrastreifen als Zuchthäusler …
1918 machte ihn der Friede arbeitslos. Er wollte die Uniform nicht ausziehen. Das Freikorps bot Dirlewanger, was ein Landsknecht haben muß: Schlagen, Schießen, Kommandieren und Saufen. Mit einem selbst gebastelten Panzerzug rollt sein Haufen gegen das Städtchen Sangerhausen im Kampf gegen die Roten des Max Holz. Nach dem Einsatz das Entsetzen: die Siegesorgie. Die Reichswehr übernahm Dirlewanger; Sangerhausen ernannte ihn zum Ehrenbürger.
Da scheiterte er zum ersten Mal. Alles, was er tat, war pathologisch: sein Hass gegen die Linke wie seine Gier nach Frauen. Die Reichswehr warf ihn deswegen hinaus.
Heimkehr als arbeitsloser Rabauke, lustloser Versuch, sich eine bürgerliche Existenz zu suchen. Dirlewanger fand keine rechte Arbeit und wurde alter Kämpfer. Als die Schutzstaffeln der braunen Bewegung erkannten, wie gut er zu ihnen paßte, machte er die zweite Karriere. Die Revolution des Jahres 1933 schwemmte ihn nach Heilbronn. Nächste Etappe: von Heilbronn nach Ludwigsburg. 1934, vor neun Jahren erst, durchlief er die Strafanstalt bei Stuttgart. Kahlgeschoren, von den Mithäftlingen verachtet, von den Wärtern getreten, fünfzehn Pfennig Tageslohn für das Nieten von Schnellheftern. Paragraph 176. Notzucht. Damit nahm Dirlewanger in der Rangordnung der Kriminellen die zweitunterste Stufe ein, deren letzte bekanntlich den Zuhältern vorbehalten ist.
Antreten. Strammstehen. Kübeln in der Zelle. Essen fassen. Ducken. Dirlewanger tat alles, kuschte wie jeder. Seine Zelle war keinen Meter größer, das Licht keine Spur heller. So saß er und hatte keinen Namen, sondern eine Nummer … als wäre er kein Privilegierter des braunen Systems, kein Doktor der Volkswirtschaft, kein alter Kämpfer, kein Ehrenbürger von Sangerhausen …
Aber das Reichssicherheitshauptamt vergaß ihn nicht, und so absolviert Dirlewanger jetzt in Lahuisk bei Minsk seine dritte und vorläufig letzte Karriere. Wenn er gut gelaunt ist, macht er aus seiner abwegigen Laufbahn kein Hehl. Dann lächelt er wie jetzt, wenn seine Gesprächspartner zusammenzucken oder nervös werden.
Müller-Würzbach, der Spieß, fängt das Lächeln des allmächtigen Chefs wie eine Antenne auf und wagt sich weiter vor.
»Na, sagen Sie schon, was Sie noch auf dem Herzen haben«, hilft ihm der Standartenführer.
»Was geschieht nun … mit Aumeier?«
Dirlewanger zündet sich eine Zigarette an und schüttelt den Kopf. »Aumeier?« wiederholt er. »Gibt's nicht mehr … nie gehabt …«
»Ja, aber …«
»Tot … erschossen … auf Befehl des Reichsführers SS …« Dirlewanger lächelt fein.
»Aber … er ist doch … noch …«
»Gute Idee«, erwidert der Standartenführer und winkt einem seiner Burggendarmen, den Hausmetzger herbeizuholen.
»Und dann«, fährt der Spieß hastig fort, »wäre noch eine Sache zu erledigen … Fleischmann ist unverzüglich zu seinem Ersatztruppenteil in Marsch zu setzen … als SS-Untersturmführer …«
»Versteh' ich nicht«, brummt der Chef.
»Gnadenakt … Der muß einen Gönner in der Reichsführung haben.«
»Wer ist denn dieser Fleischmann überhaupt?«
»Erst ein paar Wochen hier«, antwortet der Hauptscharführer.
»Na, dann laden Sie ihn gleich zum Mitfeiern ein …«, Dirlewanger lächelt süffisant, »wenn er schon in bessere Kreise gehört.«
»Er ist im Einsatz … bei Oscha Weise …« Der Spieß macht ein bedenkliches Gesicht.
»Na, wenn das mal gut geht«, entgegnet der Standartenführer, der die Andeutung begriffen hat. »Jedenfalls soll sich dieser Fleischmann sofort bei mir melden …« Er grinst breit. »Müssen ihn doch erst herrichten … bevor wir ihn wieder unter Menschen lassen.«
In diesem Moment wird der bullige Aumeier in den Raum gestoßen. Er kugelt mehr, als er geht. Er sieht aus wie ein Gespenst, halb irr schon vor Angst. Bevor er betteln kann, schneidet ihm
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