Brigade Dirlewanger
Trotzdem brauchen sie ein paar Meter, bis der Tritt klappt. Links, rechts, links, rechts, links, rechts, scharren schiefgetretene Stiefel über den Lagerplatz. Wer außer Schritt trottet, bezieht von seinem Nebenmann einen flinken Fußtritt. Soweit sie nicht zu apathisch sind, erkennen sie, daß der Standartenführer den Vorbeimarsch der Beute abnimmt. Und bei seiner Einheit sieht die Erforschung des Gewissens so aus: Haben wir ausreichend geraubt? Genügend geplündert? Genug Häuser niedergebrannt?
»Ein Lied!« befiehlt der Oscha.
Petrat, der Frauenmörder, gibt in der ersten Rotte den Einsatz. Sie reißen sich zusammen, aber es klingt kümmerlich.
»Die Zeiten sind vorüber, die Zeiten sind vorbei …«, brüllt der Lumpenhaufen sein Stammlied hinaus, »wo früher eine Kirche stand, steht heut 'ne Brauerei …«
Dirlewanger nickt lächelnd und stampft zum Appellplatz voraus.
»Heidi … heidoria, heidi … heidoria …«, schallt es ihm nach.
Die gefangenen Russen ziehen den Kopf ein und sehen sich ängstlich um, soweit der Untergang ihres Dorfes und der Verlust ihrer Angehörigen schon wieder das Denken zulassen.
Auch Paul Vonwegh singt mit, aus Selbsterhaltungstrieb. Er weiß, daß sich gleich sein Geschick entscheiden muß. Er hat den degradierten SS-Hauptsturmführer Fleischmann erschossen, als dieser die Russin Maria vergewaltigen wollte, auf Befehl zwar, aber davon will Unterscharführer Belle nichts mehr wissen.
Vonwegh, der Mann, von dem alles abprallt, steht der Entscheidung kühl, beinahe gleichgültig gegenüber, in der Art eines Berufsspielers, dem nur Vabanque blieb, als er gegen die Regel, bei einem einzigen Wurf, zwangsläufig den Höchsteinsatz riskierte, das Leben. Irgendwann mußte ich aus der Deckung heraus, denkt er, einmal mußte ich beginnen.
»Abteilung haaalt!« brüllt Weise. »Reeechts ummm!«
Sie gehorchen wie Marionetten. Von der Schnur gezogen. Die Schnur ist blutig, ist ein Strick, der um ihren Hals hängt und dessen Schlinge sich zuzieht, wenn Dirlewanger schlecht gelaunt ist oder auch gut.
Der Oberscharführer tritt an ihn heran, um Meldung zu machen.
»Gut, Weise, lassen Sie rühren!« sagt der Chef. Dann tritt er näher an seine Meute heran. Es ist ein merkwürdiger Vorgang: In dem gleichen Maße, wie die Männer in der Front kleiner werden, scheint er nach oben zu wachsen.
»Na, ihr Räuberbande«, sagt er und schlendert langsam von einem zum anderen, in seiner bekannten Art, die keine Zweifel zulässt, daß er in der selbst erfundenen Hölle Hausherr ist, »ihr habt gekämpft wie die Löwen!« Er spuckt aus und räuspert sich. »Hab's nicht anders erwartet … Euer Glück!«
»Jawohl, Standartenführer!« brüllen sie wie auf Kommando.
»Toll schaut ihr ja nicht aus«, stellt er dann fest und bleibt vor Kirchwein stehen, der grün im Gesicht ist, als ob er sich wieder gegen einen epileptischen Anfall stemmte, geht zu Petrat weiter, dessen Augen betteln, nickt dem Uscha Belle zu, klopft seinem Günstling Weise anerkennend auf die Schulter und sagt: »Heute Abend großer Rabatz …« Er bedeutet Belle, daß er auch eingeladen ist, geht zu dem B-Soldaten Gruhnke weiter und fragt: »Kohldampf, was?«
»Und wie, Standartenführer!« ruft der B-Soldat aus Berlin.
Wenn ihn einer verpfeift, ist er reif, überlegt Paul Vonwegh. Hoffentlich war Fleischmann der bisherige Denunziant, dann wäre alles in Butter, und Gruhnke bliebe am Leben. Aber der Teufel mag wissen, wie viele Spitzel Dirlewanger auf jeder Stube hat …
»Hunger …«, lacht Dirlewanger zynisch, »kann ich mir denken … Aber wenn ihr zuviel freßt, werdet ihr bloß frech, und ich kann eure Sauereien dann wieder ausbaden … Euch muß man kurz halten! … Sie wissen doch, warum Sie hier sind?« Die Augen des Chefs werden klein. »Oder?«
»Schwerer Diebstahl im Rückfall … fünf Jahre Zuchthaus …«
»Und jetzt bist du bei uns, Junge«, versetzt Dirlewanger und verzieht das Gesicht, »das ist ein Glück! Das hast du nicht verdient … Das dankst du unserem Führer in seiner unverständlichen Güte …« Er betrachtet Gruhnke lauernd.
»Jawohl, Standartenführer!« brüllt der B-Soldat.
»Und wer das Glück hat, für Adolf Hitler zu kämpfen«, ruft der Chef scharf und wendet sich wieder an alle, »hat keinen Hunger … und wird nicht müde! … Der Schicksalskampf des ganzen Volkes …« Der Standartenführer verliert den Faden und die Lust. Er feixt und setzt in ganz anderem
Weitere Kostenlose Bücher