Brigade Dirlewanger
»Wer ist das?« fragt er.
»SS-Oscha Weise …«
»Na«, antwortet der Polizeioberst, »da sind wir ja in einen schönen Sauladen hineingetreten!«
Bergmeier führt ihn auf Umwegen. Prinz merkt es nicht, denn die Eindrücke, die er hier empfängt, sind umwerfend, trotz der Akte ›Polen/A. IX DORA‹, die er vor Monaten anlegte und die ihm schließlich der zögernde SS-Chef Himmler mit einer Sondervollmacht honorierte.
Jetzt reißt der Besichtigende wahllos eine Türe auf. Ein betrunkenes Individuum liegt schnarchend auf dem Teppich, das Russenmädchen zieht sich vor Angst in die äußerste Ecke des Raums zurück, starrt von unten nach oben den Polizeioberst an, hebt die Hände dabei, bittend, flehend, weint, möchte davonlaufen, ist wie gelähmt.
»Notieren Sie jede Einzelheit«, wendet sich Prinz an seinen Adjutanten.
Dieser Oberst ist ein Militär und kein Diplomat, von Anfang an ein Außenseiter in den Reihen des SS-Ordens, der ihn einfach usurpiert hatte. Er kommt aus der bayerischen Landespolizei, der größten Schleifmühle der alten Wehrmacht.
Tugend Nummer 1: die Ausführung von Befehlen. So hatte Oberst Prinz lustlos, aber korrekt der Weimarer Republik gedient. Er ließ ihr Wahrzeichen, den Gummiknüppel, auf die Köpfe der Demonstranten niederprasseln. Er schlug lieber nach links, aber er verdrosch auch diese Kerle in den Braunhemden.
Nach 33 wurde er auf seinem Posten bestätigt, aber nicht mehr befördert. Als Himmler zum Chef der deutschen Polizei avancierte, erhielt auch Oberst Prinz einen SS-Rang. Er machte nach den Gesetzen der Landespolizei auch unter Hitler davon Gebrauch. In der Zentrale mochte man ihn nicht, aber es gab auch keinen Grund, diesen pedantischen Militaristen abzuschieben. Erst der Krieg bot die Möglichkeit: Man versetzte Prinz nach dem Osten und beauftragte ihn, im eroberten russischen Hinterland die Ordnung aufrechtzuerhalten.
Jetzt hat Oberst Prinz Dirlewangers Schlafzimmer erreicht. Die beiden Posten davor stehen verwundert stramm und melden. Prinz nickt und geht auf die Türe zu.
»Nein, Herr Oberst«, sagt einer der Burggendarmen, »niemand hat den Raum zu betreten.«
»Sind Sie verrückt geworden?«
»Befehl vom Standartenführer«, antwortet der Mann.
Der Besichtigende nickt. Daß Befehle ausgeführt werden müssen, das ist für ihn das Abc. Der Mann hat ja recht, denkt er und empfindet die militärisch-korrekte Antwort als ersten Lichtblick in diesem Schweinestall.
»Gut«, versetzt er, »melden Sie: Polizeioberst Prinz zur Besichtigung … auf Sonderbefehl des Reichsführers SS.«
»Jawohl, Herr Oberst«, entgegnet der Posten und betritt den Raum.
Der Standartenführer liegt quer über dem Bett, noch immer total blau. Sein Mund ist geöffnet. Die Schneidezähne wirken wie ein Raubtiergebiß. Auch Dirlewanger ist nicht allein. Die Russin Maria trägt den gleichen Gesichtsausdruck wie ihre Leidensgefährtin, der der Polizeioberst eben begegnete.
»Standartenführer!« rüttelt ihn der Burggendarm energisch.
Sein Chef röchelt, stößt einen Fluch aus.
»Standartenführer«, sagt der Posten zum zweiten Male. »Oberst Prinz … Besichtigung … Sondervollmacht …«
»Umlegen!« murmelt Dirlewanger und sackt wieder in die Kissen. Dann begreift er plötzlich, flucht, steht auf. »Wo?«
»Vor der Tür«, entgegnet der Leibwächter und dämpft die Stimme.
»Hier? Vor meiner Tür? Wie ist denn das möglich?«
»Er hat die Telefonverbindung unterbrochen … und unsere Wachzentralen besetzt …«
»Und das laßt ihr euch gefallen?« versetzt der Standartenführer giftig. »Ihr … ihr Schlappschwänze! Ihr Schleimscheißer! Ihr …«
Mitten im Wutanfall überlegt Oskar Dirlewanger, wie er die Situation reparieren könnte. Er denkt krampfhaft nach. In seinem Krähengesicht spannt sich die Haut. Seine Augenhöhlen sitzen noch tiefer. »Scheiße!« flucht er und nimmt einen Schluck aus der Flasche. »Lassen Sie die Leute aus dem Stehbunker«, ordnet er an, »und alle, gegen die kein …«, setzt er gedehnt hinzu, »kein entsprechendes Urteil vorliegt … aus dem Bau … Wer quatscht, den knöpf ich mir persönlich vor … danach … Sagen Sie es den Leuten!«
Er lächelt fahl, tritt an das Fenster und spuckt aus. »Und schafft mir diese Russenweiber unauffällig aus dem Haus!« schließt er und verabschiedet seinen Leibwächter. Er denkt angestrengt nach, welche Spuren er noch verwischen muß. Dabei hört er den Burggendarmen vor der Türe sagen:
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