Brigade Dirlewanger
Karen, und sie war mehr als eine Erfahrung der Politik: ein Mädchen. Kein Mädchen, eine Frau, die ihn liebte und die ihm alles bedeutete.
So gab er schließlich seine Zustimmung ohne Überzeugung. Als Gegenleistung versprach Karen, unverzüglich mit ihm zu flüchten, falls ihr Vetter Wolf-Dieter Brillmann versagen sollte …
Karen fuhr zu ihm. Vonwegh wartete, geduckt zum Sprung, vorsichtig nach allen Seiten sichernd, um prompt zu reagieren, falls die Türe aufging …
Wie jetzt …
Paul Vonwegh springt hoch und betrachtet benommen den Gefängniskapo.
»Gibt's das auch noch?« sagt der Mann. »Der pennt! … Na, Mensch, deine Nerven …« Er lacht rostig. »Und dein Schwein!« setzt er hinzu. »Der Standartenführer läßt euch laufen«, erklärt er. »Verduftet unauffällig und haltet den Mund!« Er betrachtet verdrossen ein paar B-Soldaten, die auf Umwegen aus den Stehbunkern in ihre Unterkünfte getragen werden müssen, und setzt hinzu: »Sonst freut euch auf das Wiedersehen hier!«
Vonwegh und Gruhnke gehen nebeneinander auf die Baracke VIII zu.
»Ob die uns wieder holen?« fragt der Kriminelle aus Berlin.
»Kann schon sein …«, antwortet Vonwegh knapp.
»Wie du mir auf die Nerven gehst«, knurrt Gruhnke, »du Fatzke … Ist dir wohl alles wurscht, was?«
»Und wenn nicht?« fragt der Zugführer gleichmütig.
»Eigentlich mag ich ja solche Burschen wie dich«, sagt er und lacht. »So leicht kriegen die dich nicht klein, was?« Ohne Übergang verzerrt sich sein Gesicht. »Mir ist jetzt auch alles wurscht«, sagt er, »nur diese Sau … die mich verpfiffen hat, die will ich noch schnappen … Aus der mach' ich Hackfleisch! … Und dann …«
Sie haben die Unterkunft erreicht.
Kirchwein betrachtet sie wie eine Erscheinung. »Gut, daß du wieder da bist …«, sagt Müller.
Petrat grunzt zustimmend. Kortetzky, der Gorilla, richtet sich in seinem Strohsack halb auf und lächelt Vonwegh entgegen.
Im gleichen Moment kommen die Pfiffe, Kommandos. Antreten, heißt das. Sie fallen fluchend durcheinander. Dabei ist die Eile gar nicht nötig. Keiner treibt sie an, heute.
Am Appellplatz steht der fremde Polizeioberst und verfolgt das Antreten, Ausrichten und Abzählen, als sei er nur deswegen hierhergekommen. Er betrachtet diese ausgemergelten, zerlumpten Gestalten, Kriminelle aus Neigung, Mörder auf Befehl, und sein Gesicht läßt keine Zweifel daran, daß er diese B-Soldaten nicht mit der Beißzange anfassen möchte.
Prinz nimmt die Meldungen entgegen, wundert sich über das militärisch richtige Benehmen dieses Sauhaufens, läßt rühren und ein Karree bilden.
»Männer!« beginnt er. »Ich komme im Auftrag des Reichsführers SS, um hier eine Untersuchung vorzunehmen … Ihr habt mir alle Unregelmäßigkeiten zu melden … alle, verstanden?«
»Jawohl!« brüllt das angetretene Sonderkommando. Über der Einheit schwingt die Hoffnung wie der Mief. Nur der Spieß ist in der Nähe, und auch er hat nichts zu sagen. Mensch, denkt jeder und möchte den Nebenmann in die Rippen stoßen, du hast doch neulich gesehen, wie Dirlewanger … Und deinen Kumpel hat er umgelegt … Und die Sache mit den zwei Russinnen, die nach dem Gelage tot aus der Datscha getragen wurden …
»Wer eine Meldung unterläßt, den bringe ich wegen Befehlsverweigerung vor das Kriegsgericht!« ruft der Polizeioberst weiter. »Umgekehrt sichere ich jedem von euch Straffreiheit zu … Keiner wird wegen seiner Aussage Nachteile erleiden …«
Welch ein Trottel, denkt Paul Vonwegh im ersten Glied, und zum erstenmal deckt sich seine Meinung mit der Dirlewangers und seiner Schergen … Als ob nicht jeder wüßte, daß du in ein, zwei Tagen wieder verschwindest … Noch bevor du in deinen Wagen gestiegen bist, sind deine Zeugen schon umgelegt … Wer hier bloß das Gesicht verzieht, mit dem Kopf nickt oder mit den Augenlidern zuckt, ist schon reif …
»Meine Offiziere werden auch einzeln vernehmen …«, fährt Oberst Prinz fort. »Ich betone noch einmal, daß keiner Angst zu haben braucht …«
Hauptscharführer Müller-Würzbach im Hintergrund dreht sich um, um sein Grinsen zu verbergen. Zuerst erschraken der Spieß und die anderen alle, als dieser Mann mit der hageren Gestalt und den kurzgeschnittenen Haaren auftauchte und hier im Lager wie ein Elefant im Porzellanladen herumtrampelte. Er trat auf, als wollte er ihre Extrawelt einreißen. Und dann verlangte er Verlustlisten, Verpflegungsstatistiken,
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