Brigade Dirlewanger
»Der Standartenführer erwartet Sie in zwanzig Minuten in seinem Dienstzimmer, Herr Oberst.«
Als Dirlewanger eine halbe Stunde später seine Schreibstube betritt, springt Müller-Würzbach auf, in tadelloser Uniform, offensichtlich nüchtern.
»Alles in Ordnung!« meldet der Spieß. »Er ist …«, setzt er hinzu und deutet mit dem Daumen auf Dirlewangers Arbeitszimmer.
»Ist ja lächerlich«, antwortet der Standartenführer leise, »machen uns die Hosen voll … wegen so einem Wichtigtuer … Bloß die Weiber machen mir Sorge.«
»Liquidation?« fragt Müller-Würzbach hastig.
»Vorsicht!« schüttelt der Chef den Kopf. »Strengen Sie Ihr Hirn an, mein Lieber … Lassen Sie sie irgendwo verschwinden, aber dalli! Wenn sie reden …«
Spieß und Chef verstehen sich, wie immer.
Dann reißt der SS-Standartenführer die Türe auf. Er betrachtet den ihm kalt entgegensehenden Oberst kurz und sagt dann, mit schnarrender Stimme: »Dirlewanger … Sie wollten mich sprechen?«
Oberst Prinz präsentiert seine Sondervollmachten.
»Glaub' ich Ihnen auch so«, brummelt der Chef des Sonderkommandos und reicht das Schreiben zurück, ohne einen Blick darauf zu werfen. »Was wollen Sie eigentlich?« fragt er dann.
»Einige Vorwürfe untersuchen, die …«
»Vorwürfe gegen mich?«
»Ja«, entgegnet Prinz.
»Haben Sie Zeugen?« unterbricht ihn der Standartenführer ironisch.
»Deswegen bin ich hier … Ich werde sie mir verschaffen … in Ihrem Lager …«
»Dann viel Vergnügen!« antwortet Dirlewanger und verzieht das Gesicht. Er klatscht in die Hände. »Müller-Würzbach!« schreit er.
Der Spieß muß darauf gewartet haben, so beflissen reißt er die Türe auf.
»Hauptscharführer«, sagt der Chef im typischen Kommandoton, »Sie sorgen dafür, daß alle Fragen des Herrn Oberst beantwortet werden … Alle Einrichtungen des Lagers sind ihm zugänglich zu machen … Sie haften mir persönlich dafür, daß ihm nicht die mindesten Schwierigkeiten gemacht werden!«
Bevor der überraschte Offizier mit der Sondervollmacht etwas erwidern kann, läßt ihn Dirlewanger stehen wie einen abgewiesenen Primaner.
Durch das riesige Waldlager geistert die Unruhe, greifbar, stumm und gespenstisch. Kein B-Soldat spricht, jeder denkt; jeder hofft, allen graut. Wenn sich einer unbeobachtet fühlt, hebt er den Kopf, und sein Gesicht drückt dann jeweils ungläubiges Staunen aus, so wie wenn er nach drückender Flaute dem leise säuselnden Wind nicht zu trauen wagte.
Auch Paul Vonwegh spürte die Spannung. Er stand an dem winzigen, vergitterten Ausguck und setzte auf das Ende Dirlewangers, aber er zerpflückte den Gedanken, ohne Erregung, ohne Triumph. Falls man diesen Standartenführer ablöste, kam der nächste; mochte er auch eine Nuance menschlicher sein, selbst ein humaner Dirlewanger wäre noch ein abscheulicher Verbrecher.
Paul Vonwegh trat vom Fenster zurück und haute sich auf die Pritsche. Jetzt spürte er doch die Anspannung, als sich in seinem Kopf die Gedanken jagten, die ihm Hoffnung machen wollten.
Sinnlose Hoffnung verbraucht Kraft, dachte er und schaltete einfach ab. Wie er es gelernt hatte. Seit vielen Jahren schon. Seit dem ersten Untergang, da unten in Spanien. Seitdem kontrollierte er seine Nerven, wenn sie unter der Erregung vibrierten, zwang er sich zur Ruhe, speicherte er Energie auf Vorrat, versuchte er, zu schlafen und dabei Kraft aufzuladen wie eine Batterie …
Wie durch Watte filtriert, hörte Paul Vonwegh Schritte und halblaute Kommandos. Sein Wille war wie Stahl, der dem Körper lediglich die Funktion einer Maschine zugestand. Sein Wille war sein Trick, sein Phänomen, seine Macht.
Fast unmerklich gehen jetzt seine Atemzüge in Schlaf über. Er ist dünn, seltsam angespannt. Ein lautes Wort, eine plötzliche Gefahr, und er wird hochspringen und mechanisch nach rechts greifen, wo früher immer die MP lag … Sein Unterbewusstsein arbeitet weiter. Wie immer. Auf Touren. Und wieder flüchtet es zu unvergesslichen Stationen seines Lebens zurück, die er nicht vergessen kann, weil sie zu hoch waren oder zu nieder, weil er sie zu sehr liebte oder zu abgrundtief hasste …
Sein Unterbewusstsein flieht zu den Träumen, an deren Realität Paul Vonwegh einmal gescheitert ist …
Und so spült ihn hauchfeiner Schlaf zurück zu einem Punkt, der immer größer wird, sich zu einem Gesicht ausweitet, das vor ihm steht und ihn anlächelt, glücklich und zeitlos, angespannt und erleichtert … wie
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