Brigade Dirlewanger
Postenhaus zurück, um den Draht zum Chef des Sonderkommandos abzuschneiden.
Der kurze Weg, den der mit einer Sondervollmacht ausgestattete Polizeioberst Prinz im Hauptquartier der Sonderbrigade von der äußeren Postensicherung bis zur Datscha Dirlewangers zurücklegt, genügt, um plötzliche Spannung zur fiebrigen Epidemie zu steigern. Gerüchte schießen wie Unkraut aus dem Lagerboden, wuchern wild von Baracke zu Baracke, werden lautlos aufgefangen und stumm weitergegeben.
Die B-Soldaten der Baracke VIII des ersten Zuges stehen so geschlossen wie verstohlen an den Fenstern und sehen dem höheren Polizei- und SS-Offizier nach. Er ist hager, groß, schroff schon in seiner Erscheinung. Dieser Mann ist nicht angenehm, auch nicht für Leute, die nichts von ihm zu fürchten haben. Das sehen und spüren sie; was sie denken, steht nur in ihren Gesichtern.
Kirchwein, der Epileptiker, tritt vom Fenster zurück, schüttelt den Kopf. Wieder hat er eine Haut wie Grünspan. Nur die Augen leben in diesem Gesicht. Es sind die Pupillen eines Kindes, das die Nacht fürchtet. Der rundliche Müller mit der Nickelbrille und sein Kumpel Kordt betrachten wie von selbst ihre vom Stehbunker noch geschwollenen Fußgelenke, als müßten sie sich gewaltsam der Lektion Dirlewangers erinnern.
Sie alle wissen, was jetzt kommt: Besichtigung, Zusicherung der Straflosigkeit, Aufforderung, alle Unregelmäßigkeiten zu melden, plötzlich und unerwartet eine faustdicke Chance. Vielleicht gelingt es ihnen, den Standartenführer Dr. Oskar Dirlewanger zu stürzen. Sie brauchen nur einen Regisseur, der ihnen Mut gibt und sie einig macht. Paul Vonwegh wäre so ein Mann. Aber er sitzt im Bau, weil er Fleischmann, den degradierten SS-Hauptsturmführer, erschossen hat, und kein Mann des ersten Zuges setzt auch nur eine Zigarettenkippe auf sein Leben …
»Es kommt nichts Besseres nach …«, bemerkt Petrat, der Frauenmörder. Er sieht an seinen Stubenkameraden vorbei und macht sofort ein erschrockenes Gesicht. Er wirkt wie ertappt, denn er erinnert sich an Gruhnke, den alten Kriminellen aus Berlin-Wedding, dem heute die Stunde schlägt, weil er gestern das Maul nicht hielt.
Polizeioberst Prinz hält vor der nächsten Baracke, stellt mit einer Handbewegung einen Offizier seiner Begleitung gleichsam als Posten ab. Er braucht nicht laut zu sprechen. Jeder Handgriff wurde vorher geübt. Der blutjunge Leutnant mit dem Holzbein soll verhindern, daß die B-Soldaten von ihren Führern beeinflußt werden.
Dann geht er weiter, auf das ›Schloß‹ zu. Sein Auftreten gleicht mehr der Besetzung des Waldlagers als einer Besichtigung. Er sieht die beiden Posten, die vor der Datscha dösen. Einer raucht. Der andere lehnt faul an der Wand. Beider Stahlhelme sind verrutscht, beider Gewehre hängen über der Schulter, Mündung nach unten. Der linke bemerkt den Polizeioberst und blinzelt schläfrig. In seiner Verwunderung über das Auftreten eines fremden Offiziers vergißt er die Ehrenbezeigung. Der andere steht mäßig stramm. Die Zigarette hängt noch in seiner Mundecke.
»Wollen Sie mir keine Meldung machen?« herrscht Prinz sie an.
»SS-Rottenführer …«
»Sie Kriegerdenkmal«, donnert ihn Prinz zusammen, »nehmen Sie gefälligst Haltung an!«
Der Burggendarm hat ein ungläubiges Lächeln im Gesicht.
Der Oberst dreht sich zu seinem Adjutanten um. »Notieren Sie die Namen«, befiehlt er. »Führen Sie mich zum Wachhabenden«, wendet er sich wieder an den Posten, »und tragen Sie Ihre Knarre anständig, Sie windschiefes Fragezeichen!«
In der Wachstube wiederholt sich der Vorgang fast wörtlich. Bevor noch der Oberscharführer seine Meldung herunterhaspelt, ist er mit der gesamten Besatzung zum Rapport befohlen.
Langsam begreift der Oberscharführer, daß hier etwas sehr Unangenehmes im Gange ist. Ich muß den Standartenführer warnen, überlegt Dirlewangers rangältester Leibwächter, aber wie?
Es gehört wenig Phantasie dazu, die Siegesfeier zu rekonstruieren. Das ganze Haus riecht säuerlich nach Alkohol. In den Räumen liegen noch Glasscherben und demolierte Möbelteile herum. Die Teppiche haben sich mit Schnaps vollgesogen. Selbst auf den Gängen befinden sich noch weggeworfene Uniformstücke; einmal klebt die SS-Sieges-Rune mitten in den halbverdauten Speiseresten.
Das alles fällt dem Oberst schon beim Eintritt auf. Er fotografiert es mit unbewegtem Gesicht, während er sich über eine ranglose Schnapsleiche im grauen Wehrmachtspullover beugt.
Weitere Kostenlose Bücher