Brigade Dirlewanger
damals, im Wartesaal des kleinen mecklenburgischen Dorfes, der nach Schmutz und Tränen schmeckte, wie alle anderen Kriegsbahnhöfe, irgendwo …
Sie standen sich gegenüber, im Gedränge. Die anderen hatten es eilig, sie mußten zum Zug. Er hielt nur zwei Minuten. Karen sagte kein Wort, aber der Mann, den sie liebte, wußte, daß sein Schicksal heute nicht umsteigen würde …
Sie gingen nebeneinander her. Karen fragte nicht, und Paul Vonwegh sagte kein Wort. Die Sonne ging strahlend auf. Sie pfiff auf Krieg, Not und Bomben. Sie beleuchtete die Kinder auf den Spielplätzen und schien auf die Rekruten in den grauen Kasernenhöfen. Ihr Schein brach sich an den blitzenden Rümpfen alliierter Bomber, und er huschte als Irrwisch über die Visiere deutscher Sturmtruppen. Die Sonne beleuchtete gleichermaßen die Hakenkreuzfahnen wie die Baracken der Konzentrationslager. Sie war warm und unendlich weit weg und in ihrem Alter zu erhaben für ein Reich, das sich tausend Jahre wähnte …
»Ein schöner Tag«, sagte Karen wie zu sich selbst.
Paul Vonwegh nickte.
»Karen …«, begann er, »du wirst … Ich meine … du mußt … Ich will dir nur sagen …«
»Nein«, erwiderte sie schlicht, »ich weiß alles.«
Die helle, seltsam transparente Haut in ihrem Gesicht wirkte straff. Ihre Augen glänzten traurig. »Nur, daß du so gegangen bist … ohne Abschied«, entgegnete sie, doch zum ersten Mal klagend. »Bis ich einen fand, der ein Auto hatte und mich damit zum Bahnhof fuhr …« Sie lächelte fast unmerklich und setzte hinzu: »Unsere letzten Zigaretten sind auch noch futsch …«
»Anders hätte ich es nie gekonnt«, antwortete Paul Vonwegh gepresst.
Karen blieb stehen, drückte sich ganz schnell und ganz scheu an ihn.
Von der anderen Seite der Straße kam ein Bauernjunge mit einem Ochsenfuhrwerk näher. Er pfiff, drohte mit der Peitsche und rief: »Na, ihr zwei … und schon in aller Herrgottsfrühe!«
Karen hängte sich bei Paul ein. Weder ging er wie geschoben, noch brauchte sie ihn zu ziehen. Er holte jetzt schnell aus.
»Paul Vonwegh«, sagte Karen zärtlich, »du bist ein ausgemachter Idiot! … Ein Kindskopf«, setzte sie hinzu. »Du läufst hier so einfach davon … ohne Geld, ohne Lebensmittelmarken, ohne Ausweis … und ich wette, du weißt nicht einmal, wohin du willst …« Sie las auf seinem Gesicht die Zustimmung.
Sie erreichten ein Waldstück. Sie setzten sich nebeneinander auf einen Baumstumpf. Sein Fuß spielte mit etwas. Seine Augen sahen angestrengt zu.
»Lass den dummen Tannenzapfen!« sagte Karen resolut. »Wir haben ernsthaft miteinander zu sprechen …«
Er sah sie an. Er langte in die Tasche und kramte zwecklos. Karen nahm eine Zigarette, brach sie in zwei Teile. Während er ihr Feuer reichte, fuhr sie fort: »Einzelflucht gibt es nicht, verstehst du …«
Er sah wieder starr geradeaus.
»Wenn getürmt wird«, setzte sie hinzu und versuchte zu scherzen, »dann in geschlossener Gesellschaft … zu zweit …«
Paul Vonwegh nickte.
»Ich weiß, was du denkst«, unterbrach sie seine Überlegungen.
Er schüttelte wortlos den Kopf.
»Daß ich es nicht schaffe …«, ergänzte Karen.
»Es ist nicht leicht …«, versetzte der Verfolgte, »es ist sogar …«
»Ich mache dir einen Vorschlag«, unterbrach Karen, »ich sehe noch eine Möglichkeit … Vielleicht brauchen wir gar nicht weg …«
»Wieso?«
»Ich habe einen Vetter … Wulf-Dieter Brillmann … Assessor bei der Polizei, vor der Ernennung zum Staatsanwalt«, erklärte sie hastig, »noch jung … ein hohes Tier bei der HJ … Verstehst du?«
»Nein«, erwiderte Paul Vonwegh.
»Kein Fanatiker … Der macht sich nichts aus der Bande … Er will eben vorwärtskommen, das ist alles …«
Er preßte die Lippen aufeinander, bis sie blutleer waren.
»Ich weiß genau, was du denkst«, sagte Karen. »Ich kann ihn ja auch nicht leiden, aber …«
»Aber?« wiederholte er.
»Die Auswahl ist beschränkt …«, entgegnete sie. Es sollte lustig klingen und mißlang.
Paul Vonwegh stand auf, ohne ein Wort zu sagen.
Karen folgte ihm, hängte sich wieder bei ihm ein, lehnte sich an seine Seite. »Und ein Teufel ist Wulf-Dieter Brillmann nicht!« Sie lachte laut und hell. »Höchstens ein Dummkopf!«
Paul Vonwegh blieb standhaft. Er lehnte ab. Noch verhaßter als die Fanatiker waren ihm Leute, die bloß vorwärtskommen wollten. Sie waren doch die Eckensteher des Systems!
Auf der anderen Seite stand
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