Bring mich heim
Eltern. Meine Mutter hatte die Idee, dass ich wieder zu Hause einzog. So musste sie sich nicht ständig sorgen, ob es mir gut ginge oder nicht. Ich willigte ein. Ich war mutlos und kraftlos, somit sagte ich, ohne nachzudenken, Ja. Ich gab tatsächlich meine erste eigene Wohnung mir nichts dir nichts her. Sie war nicht groß, jedoch waren das meine eigenen vier Wände mit billigen Möbeln aus dem Schwedenhaus. Aber liebevoll und gemütlich, mit vielen Zeichnungen und Bildern meiner Freunde.
Vielleicht war es in weiser Voraussicht meiner Mutter in der Tat kein schlechter Einfall. Ich war ihr unendlich dankbar für die Unterstützung, welche sie mir gab. Vor allem die seelische. Chris war in dieser Anfangszeit einfach nur kühl zu mir. Dabei hoffte ich doch so sehr, von ihm besser unterstützt zu werden. Denn die weiteren Schritte auf meinem Weg des Gesundwerdens klangen schauderhaft.
Die Ärzte besprachen mit mir, wie die Chemo- und Interferontherapie ablaufen würde, nachdem mein Körper die Operation verdaut hatte und mein Kreislauf wieder einigermaßen fit war.
Der Dermatologe, Dr. Oberbichler, rief mich zu einem Termin, um mit mir die Nebenwirkungen und positiven Eigenschaften dieser Therapie zu erläutern. Wo dabei die guten Eigenschaften waren, hatte ich scheinbar überhört. Hängen geblieben waren nur: Übelkeit, Erbrechen, Müdigkeit, weiche, rissige Nägel, Beeinträchtigung der Geschmacksnerven, Haarausfall.
Ich musste bei seinen Worten kräftig schlucken.
Er sagte noch, bevor ich mich verabschiedete: »Jeder Tag ist von heute an ein neuer Tag, den meistern Sie. Dann kommt ein neuer. Es geht hier nicht mehr um langfristige Pläne.«
Geschockt sah ich ihn an. Keine langfristigen Pläne mehr .
Es stand nicht gut um mich, um meinen Körper. Warum ich? Diese Wörter versetzten mir einen Schlag. Ich dachte, ich war genügend von den ganzen anderen Ärzten vorbereitet worden und wusste, was auf mich zukam. Ich hatte mich geirrt. Es gab von diesem Tag an keine langfristigen Pläne mehr. Ich konnte auch keine mehr machen.
Wie sollte es auch anders sein, mein Körper machte natürlich genau alles, was mir Dr. Oberbichler in unserem Gespräch erzählt hatte.
Ich musste abschalten. Mein Kopf konnte nach diesem Jahr nach wie vor nicht ruhen, sondern spielte diese Geschichte immer und immer wieder vor meinen Augen ab. Eingebrannt.
Abschalten. Das sollte die Reise zu meinem Leben sein.
Kapitel 7 1/2
Mia – Immer wieder Donnerstag
Graz, April 2012
Es war wieder Donnerstag. Ich hasste Donnerstage. Ich musste hier sitzen. Manchmal erzählte ich etwas, aber meistens nicht. Und wir waren beide in diesen eineinhalb Stunden still. Das Ticken der alten Pendeluhr war hörbar. Das Rascheln der Blätter von Dr. Weiß. Es war das Quietschen der bordeauxroten Ledercouch hörbar, wenn er sich bewegte. Und die Kritzelei, die er mit seinem Stift machte. Ab und an zog er sich seine Schuhe aus und lief dann mit den Händen hinter dem Rücken verschränkt den hellgrauen Hochflorteppich entlang. Er versuchte, mich nicht zu stören. Drei fehlgeschlagene Sitzungen benötigte es für ihn, um zu wissen, wie ich tickte und wann er mich ansprechen durfte. Ich war nicht einfach. Das gab ich zu. Drei Mal versuchte er mich zum Sprechen zu animieren. Ein Mal blieb ich stumm. Beim zweiten Versuch bekam ich einen Wutausbruch und zertrümmerte die rote Keramikvase, welche auf seinem Couchtisch platziert war, der sich zwischen uns befand. Beim dritten Mal schnappte ich mir meine Tasche und lief aus der Tür heraus. Seitdem ließ er mich in Ruhe, wenn ich nicht wollte.
Ich bewegte mich in diesen eineinhalb Stunden überhaupt nicht, sondern beobachtete nur. Dachte nach. Ich dachte immer. Es ließ sich nicht abschalten. Ich fand nie Ruhe.
Dr. Weiß war nicht mein erster Therapeut. Es waren fünf. Ziemlich hoher Verlust, wenn man davon ausging, dass ich im Oktober das erste Mal bei einem war. Eigentlich ging ich nicht. Ich musste gehen, auf Anraten der anderen Ärzte. Der Vorfall im September spukte in allen Köpfen umher und sie hatten Angst, ich würde es wiederholt versuchen.
Aber ich vergraulte sie allesamt.
Mein letzter Psychoheini drückte mir ein Kärtchen mit Telefonnummer und Adresse in die Hand. »Gehen Sie doch zu Dr. Weiß. Er hat mehr Erfahrung mit Ihrer Situation«, sagte er schroff. Ich war noch nicht einmal die Tür hereingegangen. Mit geöffnetem Mund starrte ich ihn an. Ich hob meine Augenbrauen und wollte fragen, was das
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