Bring mich heim
die meisten kurz überrascht hingesehen und wären dann vermutlich wieder ihren Tätigkeiten nachgegangen.
Ich durfte mich vielleicht nicht über das beklagen. Ich war das selbe Egoschwein wie der überwiegende Teil hier. Aber ich war es nicht an diesem Tag. Die Neugierde trieb mich.
Die Frau hüpfte wie eine Verrückte umher und schüttelte dabei ihre rechte Hand aus. Eine Zeit lang sah ich zu. Sie bemerkte nicht mal, dass ich mein Stalkerdasein gerade in mir fand, denn ihre Augen hielt sie noch immer geschlossen. Ihr kompletter Körper war angespannt. Das Gesicht sah schmerzverzerrt aus. An ihrer Stirn machten sich kleine Fältchen bemerkbar. Vielleicht sollte man das nicht unbedingt erwähnen. Frauen reagierten auf Falten nie gut. Aber es wirkte ziemlich konträr zu ihrer sonst makellosen Haut. Darum fiel es mir auf.
Ich war neugierig, wie lange sie benötigte, bis sie die Welt um sich wieder wahrnahm. Jedoch wie gesagt, meine Neugierde. Also fragte ich sie: »Alles in Ordnung?«
Sofort hörte sie zu springen auf. Ihre Augen riss sie weit auf. Ihre Augen ... sie waren unendlich groß, grün. Nein, nicht grün ... smaragdfarben. Solche hatte ich nie zuvor gesehen. Vorher war ich ja bereits der Meinung, dass diese Frau gut aussah. Jetzt ... jetzt war sie um einiges interessanter.
Sie gab mir keine Antwort auf meine Frage, sondern starrte, ohne zu zucken, in meine Richtung. Die rechte Hand hielt sie immer noch mit ihrer linken und massierte sie. Ihr Körper entspannte sich jedoch sichtbar. Die Falten auf ihrer Stirn verschwanden, die Schultern, welche sie bislang hochgezogen hatte, ließ sie sacken. Ihre Wangen färbten sich rosig. Das machte ihr Gesicht nur noch perfekter. Ich war wie hypnotisiert von ihr.
Mit beiden Händen fuhr ich mir über mein Gesicht. Rieb mir die Augen und schüttelte den Kopf ein wenig, um zurückzufinden.
»Ist alles in Ordnung mit dir?«, fragte ich wiederholt mit sanfter Stimme.
Für einen kurzen Moment schloss sie ihre Augenlider, atmete ruhig ein. Öffnete danach wieder die Augen. Da waren sie ... diese großen, smaragdgrünen Augen. Sie ließ die Luft aus ihren Lungen.
Langsam öffnete sie ihren Mund, blinzelte einige Male hektisch und machte ihn doch zu. Es herrschte ein Augenblick der Stille. Sie räusperte sich und sprach leise: »Ähm ... ja ... Geht gleich wieder.«
Dann noch diese Stimme ... wow. Sie klang bezaubernd. Hell und rein. Nur hörte ich diesen traurigen Unterton. Auch wenn sie scheinbar versuchte, glücklich rüberzukommen, der Tonfall verriet sie.
Ich lächelte sie an, in der Hoffnung auf ein Lächeln ihrerseits. Sie riss jedoch nur ihre Augen weit auf und starrte mich erschrocken an, bevor sie sich ohne ein weiteres Wort umdrehte, um sich hinzusetzen.
Ich war verwundert über diese Reaktion. Aber warum sollte sie eigentlich auch nur in irgendeiner Art auf mich reagieren. Ich war fremd und könnte was auch immer von ihr wollen. Wieso gaffte ich sie überhaupt an?
Ich wollte hier nur in Ruhe sitzen, um die Auszeit zu genießen. Der Ausstieg spukte noch in meinem Kopf.
Kapitel 9 1/2
Samuel – Da spiele ich nicht mit
Wien, Mai 2012
»Hallo, mein Junge.« Mein Vater kam, ohne anzuklopfen, die Tür herein. Er stellte sich hinter mich. Eine Hand legte er auf meiner Schulter ab. Ich tippte noch schnell die E-Mail fertig, klickte auf Absenden und drehte mich mit dem Sessel um, damit ich ihn besser sah. Meine Beine überkreuzte ich und lehnte mich zurück.
»Was kann ich für dich tun?«, fragte ich ihn.
»Ich wollte dir einige Unterlagen vorbeibringen«, sagte er bestimmend und drückte mir einen dicken Ordner in die Hände.
Fragend sah ich ihn an und hob meine Augenbrauen. »Dafür kommst du in mein Büro? Ist deine Sekretärin in Urlaub?«
Ein tiefes Lachen ertönte aus ihm. »Nein, nein. Aber es ist wichtig, dass diese Dokumente auch tatsächlich bei dir ankommen.«
Ich schüttelte verwundert meinen Kopf. »Weil sie bei Brigitte ja verloren gegangen wären«, sagte ich sarkastisch. Ohne sie wäre mein Vater aufgeschmissen, sie organisierte alles. Private und berufliche Termine, Post. Manches Mal war ich mir nicht sicher, ob sie nicht auch noch sein Essen kochte und die Wäsche machte. Brigitte war nicht nur seine Sekretärin, sie war Frau für alles. Sie war die Letzte, welche Dokumente verschusselte.
»Ja, womöglich wäre dieser Ordner um einiges früher zu dir gekommen. Aber das ist jetzt nicht wichtig. Ich wollte dir hiermit dein erstes eigenes
Weitere Kostenlose Bücher