Bring mich heim
dieser grauen Mütze. Leider wusste ich nicht, wo ich sie hingelegt hatte. Panisch, ohne Atem fragte ich während des Suchens Sam: »Mütze?« Doch er sah mich nur verwundert an. Schüttelte seinen Kopf.
Bedächtig bewegte er sich fünf Schritte zu mir. Blieb stehen. Ich räumte mittlerweile meinen Rucksack aus. Warf meine Kleidung durch die Gegend. Hilflos blickte ich hoch. Und kramte sofort wieder weiter. Ich hörte Samuel näher zu mir kommen. Er beugte sich zu Boden. Er war dabei mich anzufassen, stoppte jedoch kurz vor meinen Schultern und ließ seine Arme zur Seite herabfallen.
Ruhig fragte er: »Wieso?«
Dann sah ich hoch. Mit Hektik in der Stimme sagte ich: »Wieso was?«
»Wieso brauchst du sie?« Er setzte sich im Schneidersitz vor mich. Seine Hände hatte er in seinem Schoß. »Ich verstehe nicht, wofür du das Ding benötigst. Du siehst klasse aus. Viel besser als mit dem Stoff auf dem Kopf.«
Samuels Augen wanderten meinen Körper entlang. »Du siehst, so wie du bist, perfekt aus.« Mit seinem Lächeln versuchte er mich zu überzeugen.
»Wolle«, antwortete ich.
»Wolle?«, sah er mich verdutzt an.
»Sie ist aus Wolle, nicht aus Stoff«, sagte ich nüchtern.
»Gut, dann lass deine Wollmütze unten, du findest sie ja ohnehin nicht.« Leise sagte er noch: »Und vertrau mir, du siehst bildhübsch aus.«
Hitze stieg in mein Gesicht. Ich wusste nicht, wohin ich meinen Blick richten sollte. So oft hörte ich von den Mitgliedern meiner Familie, dass ich hübsch aussah. Ich glaubte es ihnen kein einziges Mal. Sie waren meine Angehörigen, sie mussten diese Dinge sagen, um mich aufzumuntern. Aber es half nichts, denn jedes Mal, wenn ich in den Spiegel sah, belehrte mich mein Spiegelbild mit etwas anderem.
Nein, als hübsch konnte ich mich nicht mehr bezeichnen.
Samuel bemerkte, dass ich ihm aus dem Weg ging. »Glaub es mir«, sagte er in einem Flüsterton. »Okay, machen wir es so, wenn wir sie finden, dann setz sie ruhig wieder auf und versteck deine Schönheit. Dann erfährt niemand außer mir, wie wundervoll du aussiehst. Auch gut, bleibt mehr für mich zu sehen«, fügte er hinzu. »Wenn sie nicht auftaucht, gehst du ohne.«
Ich wollte mich in diesem Zimmer nicht einsperren, darum willigte ich ein.
Wie ich es mir dachte, blieb sie verschollen. Ich hatte keinen Schimmer, wo ich sie hingetan hatte. Nur zaghaft ging ich aus der Jugendherberge. Trottete Samuel hinterher. »Wenn du deinen Hintern nicht hierher bewegst, zerr ich dich her«, lachte er. »Es gibt viel zu sehen. Also komm.«
Samuel wollte mir Rom zeigen. Ich kannte es nur aus Reiseführern und hätte mir, mit Stadtplan bewaffnet, die üblichen Sehenswürdigkeiten angesehen.
»Ich zeig dir einen der schönsten Flecke hier.«
Zuvor holten wir uns noch Frühstück. Danach gingen wir eine halbe Stunde, bis wir vor einem Parkeingang stehen blieben.
»Das ist der Park der Villa Borghese. Eines der grünsten Flecke hier.«
Davon hatte ich gehört, wäre aber nicht meine erste Wahl gewesen, das ich mir ansehen wollte. Aber nur wenige Meter in den Park hinein ließen meine Entscheidung nichtig machen. Alles war grün. Grünstes Grün. Gepflegt. Schöne Gehwege. Ich kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. Ich wollte hierbleiben.
»In der Mitte befindet sich eine Kunstgalerie. Möchtest du hingehen?«
Ich schüttelte meinen Kopf. »Nein, eigentlich nicht. Aber können wir hierbleiben?«
Mit einem Schmunzeln bejahte er. »Gerne. Lass uns noch ein Stück weiter hineingehen.«
Kapitel 29
Mia – Mein Körper sagt Nein
Rom, Juni 2012
Samuel führte mich weiter hinein. Zu einem Teich mit einem kleinen Tempel, welcher auf einer Insel im Wasser stand.
Wir setzten uns nahe zum Ufer. Lächelnd sagte ich zu Samuel: »Danke.«
»Wofür?«
»Dafür.« Ich deutete mit meinen Armen rund um mich. »Für das, dass du mit mir hier bist.« Ich sah in seine großen Augen. Sie funkelten noch um einiges grauer im Sonnenlicht.
»Gern geschehen«, sagte er leise. Er rückte ein kleines Stück zu mir heran. Dieses Mal wich ich nicht aus. Ich wollte näher. Nur versuchte ich, die Kontrolle über meinen Körper nicht zu verlieren. Samuel erweckte in mir etwas, das ich verdrängt hatte. Sehnsucht nach Fühlen. Mich zu fühlen. Andere zu fühlen. Vorsichtig rutschte ich an ihn ran. Dennoch entfernte uns ein guter Meter. Noch immer sah er mich an. Direkt in meine Augen. Nirgendwo anders. Zentimeterweise kam er her. Bei jeder seiner Bewegungen pochte mein Herz
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