Bring mich heim
Wer ist er?«
Ich holte ein weiteres Mal tief Luft, danach begann ich zu erzählen. »Wir sind uns an meinem ersten Tag begegnet. Ähm ... er ... er stöberte in meinem Skizzenbuch. Nicht gewollt. Nur durch die Faszination gefesselt.«
»Es freut mich zu hören, dass Ihr Skizzenbuch wieder den Weg in Ihre fähigen Hände gefunden hat. Aber erzählen Sie weiter.« Am anderen Ende hörte ich eine Kaffeemaschine.
»Ich wurde panisch und war kurz davor abzuschalten. Alleine hätte ich es nicht geschafft, da rauszukommen. Dann sah ich in seine Augen.« Ich pausierte einen kurzen Moment, als ich an dieses Grau dachte. »Mir ging es besser.« Es herrschte eine kurzfristige Stille.
Schlürfend sagte Josef: »Sie haben Ihren Ruhepol gefunden.« Er klang glücklich. »Aber warum dann diese Panik?«
»Wir gingen danach auseinander und fanden uns zwei Tage später wieder am Bahnhof. Wie es der Zufall wollte, hatten wir dasselbe Ziel ins Auge gefasst. Er half mir in einer ziemlich unangenehmen Situation.« Ich fuhr mir nervös durch die Haare und biss an meiner Unterlippe. »Abermals rettete er mich aus meiner Panikattacke. Nicht nur das«, flüsterte ich. »Dr. Weiß, ich wollte nicht, dass er geht, und fragte ihn, ob wir gemeinsam weiterreisen. Insofern er mich nicht zu seltsam fand.«
»Wieso sollte er Sie seltsam finden«, fragte er mich verwundert.
»Sie wissen nur allzu gut, wie ich bin. Berührungen. Angst vor Neuem. Ich könnte die Liste ewig weiterführen. Also erklären Sie mir, wie mich jemand nicht seltsam finden kann«, schrie ich beinahe.
»Sie sind es nicht, Mia. Sie haben nur so einiges zu verarbeiten.«
Verdammt viel und genau deshalb sollte Samuel eigentlich keinen Platz in meinem Leben haben. Nicht in dieser Lebenslage.
»Aber Sie mögen ihn, oder?«, platzte Dr. Weiß in meine Gedanken. Darüber wollte ich nicht nachdenken, was er mir bedeutete. Er kannte mich nicht. Ich kannte ihn nicht. Auch wenn es mir vorkam, als ob Sam bereits mein gesamtes Leben neben meiner Seite war. Das war es, was mir schreckliche Angst machte. Ich wusste einfach nicht, was er war.
»Doc, ich weiß nicht. Er dürfte keinen Platz in meinem Leben haben.«
Er atmete tief ein. »Darf er, wenn Sie sich bei ihm wohlfühlen. Tun Sie das?«
Ich schloss meine Augen und ließ den Kopf gegen die Tür fallen. Leise erwiderte ich: »Ich wünschte, es wäre anders.«
»Seien Sie froh, dass es so ist. Er bringt Ruhe. Sie haben ihn nötig. Bringt er Sie zum Lachen?«
»Ja«, antwortete ich kaum hörbar.
»Macht es Sie glücklich, ihn zu sehen?«
»Ich kann mir diese Reise nicht mehr ohne ihn vorstellen.« Ich sagte es laut. Ich konnte es tatsächlich nicht. Ich wollte es auch nicht. Obwohl ich wusste, dass ich ihm das Herz brechen würde.
»Warum dann diese Angst, diese Panik?«, fragte mich mein Therapeut.
»Ich weiß nicht, warum er neben mir im Bett liegt. Er hatte eine Hand um mich und ich hielt ihn fest.« Mein Herz begann erneut zu rasen, als ich daran dachte. »Die Berührung ...«
»Sie macht Ihnen noch zu schaffen. Es ist in Ordnung. Er ist kein Fremder mehr. Schalten Sie den Kopf ab. Lassen Sie sich durch Ihr Herz leiten«, riet er mir.
In einem Punkt hatte Josef recht. Samuel war nicht fremd. Es fühlte sich vom ersten Moment nicht danach an.
»Reden Sie mit ihm, was geschehen ist, wenn Sie es nicht wissen.«
»Okay«, seufzte ich leise.
»Leben Sie, Mia. Leben Sie ...«
Mit diesen Worten legte er auf.
Kapitel 34
Mia – Mein beschissenes Leben
Nizza, Juni 2012
Ich starrte noch eine Zeit lang auf das immer dunkler werdende Display, bis es komplett erlosch. Nun saß ich im Finstern des Badezimmers. Mit beiden Händen fuhr ich mir ins Haar und riss daran.
Ahhh ... verdammt, verdammt, verdammt ...
Ich wusste nicht, was zu tun war. War ich dazu bereit, dass mich mein Herz führte? Konnte ich das schaffen? Aber was passierte, wenn das Schlimmste eintraf? Ruinierte ich Samuel damit?
Es klopfte wie wild an der Tür. Laut und immer lauter.
»Mia, lass mich rein. Bitte«, flehte mich Samuel an.
Ich schloss die Augen. Mit dem Kopf schlug ich gegen die Tür. Immer und immer wieder. Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Mein Schädel drohte zu explodieren. Diese Gefühle zerrissen mich von innen. Samuel war etwas Besonderes. Er sah mich nie als krank an. Machte keine falschen Bemerkungen zu meinem Verhalten. Doch diese Emotionen würden ihm nicht guttun. Mich könnten sie retten.
»Mia, bitte«, hörte ich seine
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