Bring mich heim
seine Augen. Auf meinen linken Arm. Auf meinen Bauch. Samuel verfolgte jede meiner Bewegungen.
»Darf ich sie sehen?«, fragte er vorsichtig. »Ich lasse meine Hände auch, wo sie sind. Keine Sorge, ich fasse dich nirgends an, wo du es nicht möchtest. Du musst es mir nur sagen.«
»Danke«, flüsterte ich.
Während ich in seine Augen sah, hob ich zögerlich mein Shirt. Die Operationsnarbe war lang. Schlecht verheilt. Man konnte genau sehen, wo sich die Tackernadeln befunden hatten. Ich hasste diese Narbe. Sie war die tägliche Erinnerung, dass nichts wirklich in Ordnung war.
»Danke«, sagte Samuel mit gedämpfter Stimme. Schnell zog ich das Stück Stoff wieder herunter. Er setzte sich auf, ich noch immer auf ihm. Seine Arme verschränkte er hinter meinem Rücken. »Danke«, sagte er ein weiteres Mal und küsste meine Stirn. Ich lehnte mich dagegen.
In diesem Moment läutete mein Telefon. Sprunghaft drehte ich mich um. Griff zum Nachttisch und drückte den Anruf weg.
Samuel fuhr mir über mein Haar und sagte: »Vielleicht ist es ja etwas Wichtiges.«
Ich schüttelte vehement meinen Kopf. »Ich weiß, dass es das nicht ist.«
Er schnaufte. »Ich will mich nicht einmischen. Das ist deine Sache. Aber ich möchte dir nur sagen, dass es wirklich wichtig ist, mit seinen Eltern zu sprechen.« Sam sah mir in die Augen. Sie sahen weinerlich aus. Danach blickte er nach unten und murmelte: »Rede, bevor es zu spät ist.« Ich war mir nicht sicher, ob ich den letzten Satz richtig verstanden hatte.
Kapitel 41
Samuel – Ich will mehr
Richtung Biarritz, Juli 2012
»Biarritz?«, fragte Mia abermals nach, als wir im Zug saßen.
»Ja, Biarritz«, sagte ich, während ich ihre Hand hielt. Mein Daumen fuhr sanft hin und her.
»Noch nie davon gehört«, erwiderte sie kopfschüttelnd. »Wir sind aber noch in Frankreich, oder?«
Ich lachte lautstark. »Ja, noch immer Frankreich. Du wolltest reisen, ich führ dich.«
Mia lehnte sich an meiner Schulter an. »Soso, Herr Reiseführer. Was machen wir denn in Biarritz?« Sie gab mir einen Kuss auf meine Wange. Diese weichen Lippen auf meiner Haut ließen mein Herz höherschlagen.
»Man sagt Bjarits«, besserte ich sie aus.
»Siehst du, ich kann dieses Wort noch nicht mal aussprechen.«
Ich lachte leise. Sie gab mir einen leichten Hieb auf meinen Oberarm. »Jetzt lachst du mich sogar noch aus.« Mia musste sich selbst ihr Lachen verkneifen.
»Das würde ich doch niemals wagen«, sagte ich gegen ihren Mund. Ich gab ihr einen federleichten Kuss. Sie lehnte sich zurück und gähnte.
»Bin ich so langweilig?«
Mia hielt sich die Hand vor und gähnte abermals. »Du weißt, dass du das nicht bist. Aber ich bin total müde.«
Komm leg dich her. Ich deutete auf meine Füße. Sie verneinte.
»Nein? Aber es wäre noch genügend Zeit, dass du dich ein wenig ausruhst.«
»Oh, das werde ich auch. Aber du setzt dich da herüber.« Sie deutete auf die Sitze gegenüber von ihr. Ich zog meine Augenbrauen hoch.
»Schon genug von mir?«
»Niemals.« Mia setzte sich auf ihre Knie, damit sie gleichauf mit mir war. Sie stützte sich auf meiner Schulter ab. »Niemals, Samuel Winter. Doch du spielst mir ein wenig Musik vor.« Ein schelmisches Grinsen entkam ihr.
Ich lächelte sie an, küsste ihre Nasenspitze. Danach ihre Stirn. »Gerne.«
Bereits nach dem ersten Lied war Mia in einen ruhigen Schlaf gefallen. Sie sah dann immer entspannter aus. Ihre kleinen Denkfalten verschwanden. Sie wirkte jünger. Befreiter. Es entspannte sogar mich, wenn ich sie während des Schlafens beobachtete. Mein Herz ging auf, wenn ich sie so sah. Ich machte mir Sorgen um sie. Auch wenn sie glücklich rüberkam. Sie war es nicht zu hundert Prozent. Es gab etwas, das sie beeinträchtigte. Etwas, das niemand wissen durfte. Ich vermutete, dass es mit ihren Eltern zu tun hatte. Einmal täglich klingelte es mit großer Sicherheit und es war entweder ihr Vater oder ihre Mutter.
Ich kannte sie zu wenig, um nachzuvollziehen, was da los war, oder gar zu fragen, warum sie es so tat. Aber es wurmte mich. Denn ich wusste, dass Mia es bereuen würde, wenn etwas geschehen war, und sie nicht mit ihnen darüber gesprochen hatte. Ich konnte nur hoffen, dass sie wusste, was sie da tat. Ich machte mir Vorwürfe, dass ich nie an das Telefon gegangen war.
Kurz vor Biarritz weckte ich Mia auf, indem ich ihren Namen immer und immer wieder in ihr Ohr flüsterte. Es war irgendwie eine Art Ritual geworden, sie im Zug so aus dem Schlaf
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