Britannien-Zyklus 01 - Die Herrin vom See
Augen ab.
Bevor wir von hier ausbrechen, werde ich die Zeit finden, mich mit ihm zu unterhalten, dachte sie, auch wenn Gorlosius es missbilligt.
Sie fragte sich, ob ihr Gemahl zur Kommunion gehen würde, wenn der Bischof die Weihe damit beendete. Man hatte ihr erklärt, es wäre eine Sünde, das Sakrament anzunehmen, wenn man Zorn oder Neid im Herzen barg, und Gorlosius hatte vor Wut gebebt, seit die Entscheidung getroffen worden war. Halbherzig lauschte sie Flavia, die davon plapperte, wie sehr sie sich darauf freute, zu ihrem Kind und nach Hause zurückzukehren, und Igraine dachte, genau so sollte eine Ehe sein.
Ich reise mit Gorlosius nach Hause nach Dun Tagell, dachte sie bei sich, aber wenn er wieder in den Kampf zieht, werde auch ich losziehen. Die Herrin vom See sollte unter keines Mannes Fuchtel stehen.
Die Kirchentüren schwangen auf. Aus dem Inneren drangen ein Schwall Weihrauchduft und die Klänge von zu Gesängen vereinten Stimmen. Männer traten aus dem Heiligtum und blinzelten im Licht des Tages. Erwartungsvolles Gemurmel breitete sich über die Menge aus.
»Der Pendragon! Der Hochkönig kommt!«
Igraine verspürte eine Woge der Benommenheit und holte tief Luft. Interessant, dachte sie – sein Bruder war als Kaiser betitelt worden, Uther hingegen bevorzugte offensichtlich einen britannischen Titel und fand sich damit ab, dass die Tage der Römer vorüber waren. Weitere Männer traten aus der Kirche, eine Ehrengarde, die sich zu beiden Seiten aufstellte und die Schwerter zog. Igraine wich ein wenig zurück und spürte eine Hand, die ihren Ellbogen ergriff. Es war Merlin.
»Du musst hier bleiben, bis sie herauskommen…«
Noch bevor sie fragen konnte weshalb, erstrahlte Farbe an der Kirchentür. Der Bischof trat heraus, in seine bestickte Robe gekleidet, und neben ihm, die Stirn mit Gold umwunden, mit einem purpurnen Mantel um die Schultern, der über ein weißes Gewand ähnlich dem eines Priester wallte, der König.
Er wirkte wie benommen, dachte Igraine, und zwar nicht, weil die Sonne sich letztlich doch hervorgewagt hatte. Sein Blick glich jenem gebannten Starren eines Menschen, der etwas Heiliges geschaut hat. Zwei Priester geleiteten ihn durch die Reihen der Krieger; blinzelnd hob er eine Hand, um sich für die Jubelrufe zu bedanken.
Brüllend drängte die Menge auf ihn zu, doch irgendwie gelangte Merlin vor die Menschen, nach wie vor mit Igraine am Arm.
»Heil dem Pendragon Britanniens«, sprach Merlin. Igraine wusste, dass die Leute immer noch brüllten, doch der Lärm war verstummt, so als befänden die drei sich in einer Blase, die kein Geräusch durchdringen ließ. »Ich bringe Euch den Segen der uralten Mächte, und ich bringe Euch die Weiße Rabin, die verborgene Königin!«
Langsam kroch Uthers Blick von Merlin zu Igraine. Was sah er? Als die Sonne herausgekommen war, hatte sie die Kapuze zurückgeschoben, und damit auch den Schleier; warm spürte sie die Sonne auf dem Haar. Igraine fühlte, wie sie errötete, als die verwirrte, fragende Miene des Hochkönigs sich in eine wache, ehrfurchtsvolle verwandelte.
Urplötzlich begriff sie, dass er keine gewöhnliche Frau sah, nicht die Gemahlin eines seiner Häuptlinge, sondern die Göttin selbst in sterblicher Gestalt. Und im Zuge dieses Begreifens wechselte ihr eigenes Bewusstsein zu jenem der Priesterin, und als sie ihn musterte, sah sie nicht Uther, den Mann, sondern Uther, den König.
Es war Gorlosius, der den Bann brach.
»Komm da weg, Weib!« Er ergriff sie am Arm und zog sie hinter sich her. »Und leg den Schleier an. Unser großer König hat Besseres zu tun, als dich anzustarren!«
Sie bogen um eine Ecke, danach ließ er sie los und funkelte sie mit finsterer Mine an. »Was hat Uther zu dir gesagt?«
Igraine glättete ihren Umhang und zog den Schleier wieder über das Haar. »Er hat nichts gesagt. Gar nichts«, erwiderte sie frostig.
Das brauchte er auch nicht, dachte sie, als sie sich umwandte und zu ihrer Unterkunft ging. Als König und Königin hatten ihre Seelen einander berührt, und sie vermochte nicht vorherzusagen, was nun geschehen würde.
Man hatte Igraine gelehrt, die sechs Wochen vor dem Äquinoktium seien eine Zeit der Veränderung, sowohl in den inneren Welten als auch in den Ländern der Menschen. Und fürwahr, kaum waren sie und Gorlosius in Dun Tagell eingetroffen, schlug das Wetter um. Von jener Zeit an bis zur herbstlichen Tagundnachtgleiche peitschten Stürme über die Küsten Dumnonias; dennoch
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