Britannien-Zyklus 01 - Die Herrin vom See
glichen die Wirren des Himmels lediglich einem milden Abbild jener in den Angelegenheiten der Menschen.
Denn Gorlosius setzte sich mit bloßer Willenskraft über die alten Berater seines Vaters hinweg und erklärte Dumnonia zu einem von Britannien unabhängigen Königreich. Zudem widerrief er seinen Eid an den Hochkönig. Der Felsen von Dun Tageil, an dem Frieden herrschte, seit Vitalinus die Cornovier aus dem Norden herabgeholt hatte, um die Männer von Erin zu vertreiben, verwandelte sich in eine Garnison.
Der lateinische Name für den Ort lautete Durocornovium, die Feste der Cornovier. Die Befestigungsanlagen beschränkten sich auf eine Mauer, die eine Burg und Kasernen ummantelte, beides aus dem Stein des Landes errichtet, doch mehr war gar nicht nötig, denn der Ort befand sich auf einer Klippe am Rande des Meeres. Eine schmale Felsbrücke stellte die einzige Verbindung zum Festland dar. Igraine wusste nicht recht, ob ihr Gemahl sie dort untergebracht hatte, auf dass sie die Burg für ihn halte, oder ob das Dutzend dort stationierter Männer sie bewachen sollte. Gorlosius selbst stattete ihr nur gelegentliche Besuche ab. An der vordersten Verteidigungslinie befanden sich Isca Dumnoniorum und Durnovaria, und zu Igraines Erleichterung erübrigte ihr Gemahl für seine westlichen Festungen wenig Zeit.
Ab und an erreichte sie Kunde über den Fortgang des Krieges. Der neue Hochkönig, der die Lage unter allen Umständen bereinigen wollte, bevor die Sachsen sich ordnen und die Uneinigkeit der Briten nutzen konnten, schlug schnell und unbarmherzig zu. Gorlosius war von Durnovaria zurückgewichen und hatte bei Isca eine neue Grenze eingerichtet; Uther aber, der danach trachtete, ihn in der Stadt zu belagern, ließ eine Hintertür offen, und anstatt den Feind hinunter nach Belerion in den Zeh der Halbinsel zu treiben, gestattete er ihm, an die Westküste zu flüchten, wo Gorlosius hoffen durfte, bei den Stämmen von Erin Verbündete zu finden.
Als Uther ihn schließlich einholte, hatte der Feind sich neuerlich verschanzt, diesmal in einer alten Hügelfestung namens Dimilioc, ein paar Meilen südlich von Dun Tageil. Und dort hielt Gorlosius die Stellung, während kalte Winde bliesen und die Nächte in Vorbereitung auf den Winter zunehmend länger andauerten, bis zum Samhain-Fest, wenn die Toten nach Hause zurückkehren.
Fackelflammen flackerten heftig im Zug und jagten Schatten gleich flüchtenden Schreckgespenstern in die Winkel der Burg. Man konnte machen, was man wollte, das Bauwerk ließ sich einfach nicht völlig gegen den Wind abdichten. Zuvor hatte Igraine die Winter stets in dem Landhaus am geschützten Ufer des Fawwyth verbracht, oberhalb der Stelle, wo er an der südlichen Küste Cornovias ins Meer mündete. Im Sommer konnte Dun Tagell sich als herrlicher Ort erweisen, wenn die Möwen ihre Schreie ausstießen, während sie am Himmel ihre Kreise zogen und das Sonnenlicht auf den Wellen funkelte. Im Winter hingegen war es ein kalter, feuchter, bedrückender Ort!
Mit einem leisen Fluch auf ihren Gemahl, der sie hier zurückgelassen hatte, stellte Igraine den Korb voller Äpfel auf den Tisch, den letzten Rest der Sommervorräte. Es war ein karges Fest – sofern die Geister, für die es veranstaltet wurde, einen Funken Vernunft besaßen, würden sie an einen besser gedeckten Tisch zurückkehren. Wenn es überhaupt noch genug Tische gab, unter denen sie wählen konnte, dachte Igraine stirnrunzelnd. In den vergangenen Jahren waren so viele gestorben, und zahlreiche der überlebenden Familien waren aus dem Land geflohen. So mancher Ahne würde auf der Suche nach ihnen einen weiten Weg zurücklegen müssen.
In derlei Gedanken versunken, breitete sie die Früchte, das Gerstenbrot sowie die Teller voll gekochtem Fleisch und Käse auf dem Tisch aus. Und trotz des heftigen Zuges ließ sie die große Eingangstür ein wenig offen, damit Geister, die Dun Tagells Gastfreundschaft annehmen wollten, hereingelangen konnten.
Die Männer der Garnison wussten den Ausbruch aus der Eintönigkeit ihrer Pflicht gewiss zu schätzen. Zwar besaßen sie keinen Met, doch als sie ihnen den Krug voll Bier brachte, hielten sie ihr grinsend die Becher entgegen. Das Gelage dauerte bis spät in die Nacht, denn es gab zahlreiche Trinksprüche auszubringen: auf in den jüngsten Schlachten gefallene Kameraden, auf ihre Mutter und auf Aurelianus, der mittlerweile bei den von Hengest gemetzelten Anführern in dem Grab neben dem Tanz der
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