Britannien-Zyklus 01 - Die Herrin vom See
Britannien.«
»Nicht im Süden«, widersprach Igraine verbittert. »Die Bischöfe predigen gegen die alten Feste oder verändern ihre Bedeutung und bezeichnen Frauen als die Wurzel allen Übels. Die Sachsen sind Heiden, deshalb kann kein getreuer Brite unseren uralten Göttern huldigen!«
»Das reicht«, gebot Everdila. »Ihr erschöpft sie.« Igraine besann sich, dass ihre Mutter ihr erzählt hatte, die ältere Frau habe einst Hohepriesterin werden wollen. Nun jedoch wirkte sie aufrichtig besorgt und bekümmert.
Argantes Miene verzog sich zu einer Grimasse, die ein Lächeln sein sollte. »Lass mich reden… schon bald werde ich für immer schweigen.«
»Könnt Ihr denn gar nichts tun?«, drängte Igraine die greise Everdila. »Ihr kennt doch all die Geheimnisse des Heilens hier. Kann die Macht des Kessels sie nicht heilen?« Das Schwert erwähnte sie nicht. Dessen Macht war anderer Natur.
Everdila richtete sich auf. »Begreift Ihr denn wirklich so wenig? Die Heiligtümer können nur richten, was dem Lauf der Natur widerspricht. Doch selbst der Kessel ist außerstande, ein verbrauchtes Herz zu erneuern!«
Argante schüttelte den Kopf. »Wahrlich, Tochter, wärst du nicht gewesen, ich glaube kaum, dass ich so lange gelebt hätte… Verschwende die Zeit, die ich noch habe, nicht mit Trauern. Weinen kannst du, wenn ich gegangen bin.«
Igraine biss sich auf die Lippe und blickte zu Boden. Morgause hatte sich von der Bettkante davongestohlen und schlenderte durch die Kammer, berührte die Vorhänge und geschnitzten Pfosten, die Gefäße aus Silber und Bronze, all die persönlichen Dinge, die sich im Laufe der Zeit hier angesammelt hatten.
»Du hast eine Tochter für den See geboren. Nun musst du einen Sohn für Britannien gebären.«
»Nur wie? Es ist Monate her, seit Gorlosius zuletzt das Bett mit mir teilte. Aber ich wurde nach christlichem Ritus verheiratet. Ich kann mich nicht von ihm scheiden lassen.«
»Gorlosius wird dein Kind… nicht zeugen.«
»Wer dann?«
»Du wirst es erfahren…« Argantes Lächeln verblasste. »Aber dein Glaube… darf nicht wanken. Behüte das Schwert, bis dein Sohn ein Mann ist!«
Igraine starrte in die blauen Augen ihrer Mutter, die so sehr ihren eigenen ähnelten. Argantes Finger zuckten unruhig, und Everdila nahm die Hand und legte sie auf den Kopf ihrer Tochter.
»Sei meine Zeugin!«, flüsterte die Hohepriesterm. »Ich übertrage meine Macht Igraine! Mögen die Götter unseres Volkes bezeugen, was ich sage!«
Danach sank sie zurück und verharrte keuchend. Igraine aber taumelte und stürzte um ein Haar, gänzlich benommen von dem plötzlichen Energiestoß, als wäre das Leben ihrer Mutter durch ihre Hand auf sie übergegangen.
»Geht. Sie wird jetzt schlafen. Ich rufe Euch, wenn es nötig ist.«
In Everdilas Stimme schwang Befehlsgewalt mit; Igraine erhob sich und blickte auf das Antlitz ihrer Mutter hinab. Sie wollte weinend die Arme um sie schlingen, doch Argante hatte bereits die Augen geschlossen. Igraine neigte das Haupt und drehte sich um; Everdila erhob sich ebenfalls und zollte ihr die Achtung, die einer Hohepriesterin oder einer Königin gebührt.
In jener Nacht, nachdem Morgause zu Bett gebracht war, schlenderte Igraine am Ufer entlang. Kurz nachdem Igraine sie verlassen hatte, glitt auch Argante in den Schlaf, in einen Schlummer, aus dem es kein Erwachen gab. Aus dem Haus der Hohepriesterin hörte Igraine die Frauen der Insel der Maiden jene Verse singen, die einer scheidenden Seele den Weg nach Hause weisen.
Die letzten paar Tage war es bewölkt gewesen; in jener Nacht jedoch war der Himmel klar, und die stillen Wasser des Sees widerspiegelten das Funkeln der Sterne. Während sie hinausblickte, schien unter der Wasseroberfläche ein Licht zu erblühen. Sie schaute auf und erspähte den Kometen, der gleich einem Feuer speienden Drachen am Firmament prangte.
Eine lange Weile beobachtete sie ihn, hin und her gerissen zwischen Kummer und Hochgefühl. Als sie endlich ins Bett schlüpfte, träumte sie von einer Schlacht am Strand. In der grauen Stunde kurz vor Sonnenaufgang weckte Everdila sie, um ihr mitzuteilen, dass ihre Mutter von ihnen gegangen war.
Londinium präsentierte sich heiß, übervölkert und voller übler Gerüche. Das Einzige, worauf man hier nicht im Überfluss stieß, dachte Igraine, waren Sachsen. Während sie durch die verwaisten Gebiete entlang des Flusses Tamesis geritten waren, hatte sie sich nach der Geborgenheit des Sees
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