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Britannien-Zyklus 02 - Die Herrin der Raben

Titel: Britannien-Zyklus 02 - Die Herrin der Raben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana L. Paxson
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darauf, während frostige Kälte seinen Magen zusammenzog.
    »Mach die Tür zu, Junge«, ertönte Aebbes Stimme von hinten. »Du lässt die Kälte herein.«
    »Aebbe…«, setzte er an und drehte sich um. »Warum ist der König so früh hinausgegangen?«
    »Was soll das heißen, Kind? Alte Männer schlafen lange. Er ist noch im Bett!«
    »Sieh doch nur, sind das nicht seine Fußabdrücke? Wohin ist er gegangen?«
    Einen Augenblick starrte sie über seine Schulter auf den gezeichneten Boden, dann eilte sie wortlos zurück in die Halle. Oesc sank auf eine Bank und zitterte, und das nicht der Kälte wegen. Wenig später kehrte die alte Frau mit Byrhtwold und Aethelhere zurück. Als sie über den Hof aufbrachen, schloss Oesc sich ihnen an.
     
    Sie folgten der Fährte zu Haedwigs Hütte; von dort an gesellten sich zu den Spuren die Fußabdrücke einer Frau. Nahe des Seitentors verloren sie die Fährte, aber der junge Krieger, der es bewachte, gab gegenüber den ranghöchsten Lehnsleuten des Königs bereitwillig Auskunft: dass sein Herr das Tor passiert hatte, und zwar, als das erste fahle Licht, das die Morgendämmerung ankündigt, den Himmel erhellte. Der Leibeigene Cubba sei bei ihm und die weise Frau.
    »Ich dachte, sie wären unterwegs, um den Göttern ein Opfer darzubringen. Er befahl mir, Stillschweigen zu bewahren und auf meinem Posten zu bleiben«, erklärte der Krieger. »Aber meine Wache ist beinahe zu Ende, und gewiss breche ich meinen Eid nicht, indem ich es Euch berichte…«
    »Zweifellos ist das der Grund«, meinte Aebbe seufzend. »Ich gehe zurück in die Küche; gewiss will der König sein Frühstück, wenn er zurückkehrt.«
    »Ich gehe ihm entgegen«, sagte Aethelhere. »Es ist nicht gut, wenn der König der Myrginge ohne Leibwächter unterwegs ist.«
    Byrhtwold nickte, und als sie durch das Tor traten, folgte Oesc den beiden Lehnsleuten den Hügel hinab.
    Hier und da markierten Abdrücke im gefrorenen Gras die Spur. Sie führte zur Gesetzeseiche.
    Als die drei um den Rand des Waldes bogen, hielten sie wie erstarrt inne, denn eine unzeitgemäße Frucht hing an den Ästen des Baumes.
    Es war König Eadguths Leichnam, der dort hing. Blut aus einer Schnittwunde unterhalb der Brust hatte sein Hemd befleckt, und der Leibeigene Cubba lag unter ihm, ein Messer in der Hand; das Blut aus seiner aufgeschlitzten Kehle tränkte den Boden.
    »Einen Aetheling vermag nichts zu erschüttern, nicht einmal das eigene Verhängnis«, hatte Eadguth einst zu ihm gesagt, doch nachdem Oesc kurz in das purpurne Antlitz und die blicklosen Augen seines Großvaters geschaut hatte, richtete er den Blick fest auf den Boden.
    »Ach, mein lieber Herr«, meinte Aethelhere kopfschüttelnd. »Es ist nicht wohlgetan, mir dieserart voranzugehen, nur mit einem Leibeigenen als Begleiter. Dennoch glaube ich, Euer Vorsprung ist noch nicht so groß, dass ich Euch nicht einholen könnte.«
    »Warum hat er das getan?«, fragte Byrhtwold. »Wir hätten bis zu seinem Lebensende zu ihm gestanden.«
    »Und das habt ihr auch«, erklang eine andere Stimme. Sie drehten sich um und sahen, dass Haedwig dort stand, auf einen Stab gestützt, dessen Kopfstück in ein blaues Tuch gehüllt war. »Versteht ihr es nicht? Er hatte keinen Sohn, der ihm nachfolgen konnte, und diejenigen von euch, die gelobt haben zu bleiben, sind nicht genug, um das Land zu verteidigen. Durch seinen Tod hat Eadguth sie von ihrem Eid entbunden und Woden ein Opfer für ihren Schutz dargebracht. Dies war eine edle Tat.«
    »Durch das Messer eines Leibeigenen?«, meinte Byrhtwold zweifelnd.
    Haedwig schüttelte den Kopf. »Cubba hat sich selbst das Leben genommen, Eadguths Blut aber wurde durch Wodens Speer vergossen.« Sie hob den Stab, und die Haare an Oescs Armen und Nacken stellten sich auf, als er den runenbedeckten Schaft unterhalb des Tuches erkannte.
    »Dies ist die letzte und größte Tat eines Königs«, sprach Aethelhere. »Seinen Atem dem Gott darzubringen und sein Blut dem Land, auf dass sein Volk leben möge.«

II
    Verulamium
    A.D. 473
     
    Ein totes Pferd lag steif neben der Straße. Die Raben, die sich an dem Festmahl labten, warteten, bis die herannahenden Reiter über ihnen waren, ehe sie höhnisch krächzend davonstoben. Hinter ihnen verlief die Römerstraße geradewegs nach Süden, wo ein feiner Rauchschleier den fahlen Morgenhimmel verhing.
    »Wir weichen euren Füßen«, schienen sie zu sagen, »aber eines Tages werden wir uns an euch laben!«
    Oesc

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