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Britannien-Zyklus 02 - Die Herrin der Raben

Titel: Britannien-Zyklus 02 - Die Herrin der Raben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana L. Paxson
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aufrecht halten.«
    »Das mag wohl sein. Der König der Briten ist ein kranker Mann«, meinte Baldulf nachdenklich. »Und ein Feldlager ist nicht der rechte Ort, um gesund zu werden.«
    »Und lässt man Leudonus außer Acht, hat er keinen Erben«, warfeiner der anderen ein. »Wenn Uther stirbt, sind die Briten leichte Beute.«
    »Leichte Beute?«, rief Colgrin aus. »Sind das die Worte eines Kriegers? Je schwächer Uther wird, desto weniger Ehre birgt es, ihn zu besiegen. Ich sage, wir sollten ihn jetzt angreifen…«
    Octha aber schaute zur Tür, durch die Haedwig eingetreten war. »Ich habe sie holen lassen«, beantwortete er die unausgesprochene Frage, die in den Augen der Häuptlinge zu lesen war. »In den alten Tagen zogen die Priesterinnen stets mit den Kriegern. Haedwig ist zwar allein, dafür wurde sie von den Walkyriun ausgebildet. Setz dich.« Er deutete auf eine der Bänke, dann nickte er seinem Sohn zu. »Bring ihr Bier.«
    Haedwig nahm einen Schluck aus dem ockerfarbenen Tonbecher, blieb jedoch stehen. Oescs Worte der Begrüßung blieben ihm im Halse stecken. Er hatte sich zu sehr an ihre Fürsorge gewohnt und darüber vergessen, was sie eigentlich verkörperte. Ihre Augen waren geweitet und stumpf, als wäre sie bereits den halben Pfad in die Anderswelt gewandelt. Wie immer, wenn sie Zauber wirkte, erschien ihr Antlitz steinalt und jung zugleich.
    »Weise Frau«, sprach Octha mit leiser Stimme. »Unsere Feinde umzingeln uns. Sprich mit den Geistern, und berate uns wohl.«
    »Ich brauche einen hoch gelegenen Ort«, flüsterte sie.
    Octha nickte sachlich. »So soll es sein.« Er gab den anderen ein Zeichen. Schweigend erhoben sie sich, und als sie die verwaiste Straße hinabschritten, folgte Oesc ihnen nach.
     
    Hart zeichnete sich das Torhaus von Verulamium gegen den nächtlichen Himmel ab. Haedwig starrte zu dem düsteren Gebilde hinauf, dessen Türme zu beiden Seiten des gewölbten Torbogens aufragten. Die Nacht war überaus still. Nur in ihrem Inneren spürte Haedwig, wie sich langsam eine Macht regte. Irgendwo in der Nähe wirkte ein anderer einen Zauber – vermutlich der britische Magier, den sie Merlin nannten.
    Es heißt, du wärst geschickt darin, die Zukunft vorherzusagen, Wunderwirker. Aber auch mir dient die Magie, und morgen wirst du erleben, dass auch ich Schlachtzauber zu singen verstehe. Stirnrunzelnd trat Haedwig in die Schatten der Eingangstür. Einen Lidschlag lang hatte ihr forschender Geist etwas Stärkeres, Schärferes, dem Verstand eines Gottes gleich, berührt.
    Die Bohlen der Treppe hallten hohl wider, als die Gruppe emporstieg, sich den Weg an der gewundenen Wand ertastend, doch als sie oben ins Freie traten, atmeten sie unter dem sternenübersäten Himmelsgewölbe erleichtert durch. Auf der einen Seite schimmerten die Lampen der Stadt, auf der anderen leuchteten die Wachfeuer ihrer Feinde gleich roten Augen in der Finsternis. Eine sanfte Brise fuhr den Männern durchs Haar, als atme die Nacht.
    Haedwig sank auf die Bank unter der Brüstung und ließ den Schleier über ihr Gesicht fallen. Einer nach dem anderen setzten die Krieger sich auf den kalten Steinboden des Wehrganges, bis nur noch Octha aufrecht stand, dessen Worte im Rhythmus des rituellen Sprechgesangs erklangen.
    »Wicce, höre mich – an diesen hohen Ort habe ich dich gebracht. Von hier kannst du emporsteigen zwischen den Welten.«
    »Wohl will ich die Tat wagen.« Haedwigs Stimme klang heiser in ihren eigenen Ohren. »Doch der Weg ist lang und mühsam. Es sind Eure Gebete, die ich überbringe – lasst Eure Macht mich tragen…«
    Octha nickte und begann, mit den Handflächen rhythmisch gegen die Schenkel zu klopfen. Die anderen Männer folgten seinem Beispiel und schaukelten leicht, als das sanfte Zittern durch die Luft pulsierte.
     
    »Wicce, Wicce, Woruld-Aesce ymbwend,
    Wisdom innan thin hyde gewinn.
    Wicce… Wicce…«
     
    Das stetig wiederholte Wort verschmolz mit dem sanften Rascheln von Stoff auf Haut zu einem flüsternden Laut, der die Nackenhaare aufstellte, den Geist emporhob und fortriss, auf dass er um den Weltbaum in jene Welten reiste, die ihm innewohnten, und er Zugang zu der Weisheit erlangte, die sich dort verbarg. Wicce, Wicce, zur Weltesche reise… auf dass sie den Pfad zum Wissen dir weise…
    Haedwig holte einmal tief Luft, dann ein zweites Mal und lehnte sich sodann entspannt an die Brüstung. Ihr Bewusstsein kroch in den Stein bis hinunter ins Fundament des Turmes und wieder zurück

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