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Britannien-Zyklus 02 - Die Herrin der Raben

Titel: Britannien-Zyklus 02 - Die Herrin der Raben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana L. Paxson
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unterdrückte ein Schaudern; dann warf seine Stute, die das Aas roch, den Kopf hin und her, und der Junge zügelte sie hart.
    Sein Großvater in der alten Heimat hatte nicht genug Geld gehabt, ihm ein Pony zu schenken, und überhaupt galt es nicht als Tradition seines Volkes, beritten zu kämpfen. Britannien aber war eine große Insel, und Oesc hatte das Gefühl, in den drei Jahren, seit Octha ihn übers Meer brachte, auf dem Pferderücken den größten Teil der östlichen Hälfte durchquert zu haben, welche sich die Angeln, die Sachsen, die Juten und vereinzelte Angehörige einiger anderer Stämme angeeignet hatten. Zwangsläufig war er zu einem recht guten Reiter herangereift. Er hob das Kinn und straffte die Schultern, womit er unbewusst seinen Vater nachahmte, der gelassen auf seinem stämmigen Grauen an der Spitze der Kolonne ritt.
    Die meisten Myrginge hatte man in Cantuware angesiedelt, gemeinsam mit den Juten und Friesen und den anderen, die Hengests Ruf gefolgt waren. Die besten Krieger jedoch hatten die üppigen, bereits seit einer Generation von Stammesangehörigen besiedelten Felder der Südküste zurückgelassen, um mit Octha nach Norden zu reiten, wo es neue und vielleicht noch fruchtbarere Länder zu erobern gab.
    Hengest wollte, dass der Junge bei ihm in Cantuware blieb, doch für Oesc hatte sich im Grunde nie die Frage gestellt, wofür er sich entscheiden würde. Den Großteil seines kurzen Lebens hatte er eingepfercht mit dem einen Großvater verbracht, und der andere war über achtzig, so alt, dass so mancher von ihm glaubte, er müsste längst verstorben sein. Kein Junge konnte der Gelegenheit widerstehen, mit den Männern loszureiten und ihren Ruhm zu teilen. Nur manchmal des Nachts vermisste er die fest gebaute Halle und die friedlichen Felder seiner Heimat, die Möwen, die über einem Meer schwebten, das im Licht der untergehenden Sonne so prunkvoll gleißte, dass es jeden Goldschatz der Römer in den Schatten stellte.
    Nun fragte Oesc sich, ob er die richtige Entscheidung getroffen hatte. Germanisch sprechende Männer hielten den halben Süden und die Sumpfländer an der Ostküste, und drei Jahre der Feldzüge hatten die Grundlagen eines anglischen Reichs südlich von Eboracum geschaffen. Nur das Tal des Flusses Tamesis trennte noch die angelsächsischen Lande. Aber Leudonus von Alba, der die Tochter des britischen Königs geheiratet hatte, hatte all seine Kraft in die Rückeroberung des Nordens geworfen, die Sachsen vor sechs Tagen am Ufer des Abus zu einer Schlacht gezwungen – und gewonnen.
    Oesc trat der Stute in die strammen Flanken und trieb sie an die Seite Colgrins, eines Mannes aus dem Volk der Angeln, der gemeinsam mit dem Juten Baldulf in der Rangordnung des Heeres lediglich hinter seinem Vater stand.
    »Sind die Kundschafter zurückgekehrt? Verfolgt uns Leudonus?« Er schaute zurück, wo die sächsische Kolonne, die scheinbar von ihrem eigenen Staub verschlungen wurde, sich bis zurück nach Eboracum zu erstrecken schien. Irgendwo dort hinten, in den Karren bei den Verwundeten, war Haedwig. Dahinter hingen schwere Sturmwolken am Himmel.
    Colgrin schüttelte den Kopf. Dort, wo ein Verband den Streich eines britischen Schwertes bedeckte, war das graue Haar kurz geschoren. »Nein, Junge, er wird uns nicht erwischen, dafür haben wir ihm zu tüchtig eingeheizt.«
    »Aber er verfolgt uns«, wiederholte Oesc.
    »Bestimmt nicht«, widersprach der Ältere. »Bis seine Männer wieder marschieren können, sind wir längst hinter Verulamiums mächtigen Mauern in Sicherheit.«
    »Wie lange dauert es noch, bis wir dort eintreffen?«
    Colgrin deutete auf einen blauen Fleck, der sich am Horizont über die Straße erstreckte. »Die Stadt liegt gleich hinter diesen Hügeln.«
    Oesc spähte voraus, und dann, als ein kalter Luftstoß über seine Wange strich, blickte er wieder zurück. Die schweren Wolken rollten heran wie ein sichtbarer Ausdruck von Leudonus’ Zorn. Wenn der Sturm sie erreichte, ehe sie Schutz fanden, würden die Verwundeten es schwer haben. Kritisch musterte er den straffen Rücken seines Vaters.
    Seufzend folgte Colgrin seinem Blick. »Selbst die größten Anführer können nicht immer die beste Entscheidung fällen. Und manchmal ist jede mögliche Wahl mit Makeln behaftet. Octha denkt wie ein Krieger und geht die Wagnisse eines Kriegers ein. Woden liebt tapfere Männer und wird ihm den Sieg bescheren.«
    »Ich weiß…« Oesc nickte, doch zum ersten Mal fragte er sich, auf

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