Britannien-Zyklus 02 - Die Herrin der Raben
Übung wohl beenden. Morgen früh, ehe der Rat zusammentritt, sollten wir Zeit für mehr haben.«
»Nicht noch mehr Besprechungen!«, übertönte Gais Seufzer die gemurmelten Unterhaltungen, während sie begannen, ihr Zeug einzusammeln.
»Glaubst du etwa, mehrere tausend Mann samt Ausrüstung begeben sich von Zauberhand an Ort und Stelle, so wie es heißt, Merlin hätte die Steine am Tanz der Riesen herbeigezaubert? Wir haben noch eine Menge Planung vor uns…«
Als die Gruppe zurück zu den Gebäuden aufbrach, gesellte Merlin sich zu den Männern. Artor hatte bereits genug gelernt, um seine Anwesenheit zu spüren. Gerontius zuckte und griff nach dem Schwert, als der dunkle Schemen am Ellbogen des Königs auftauchte, Artor hingegen seufzte nur.
»Euer Unterricht ist für heute beendet, aber es ist immer noch Zeit für ein wenig Unterricht von mir«, klärte Merlin den Krieger auf. »Bringt die anderen zurück ins Lager. Ich muss dem König etwas zeigen.«
»Nicht ohne Schutzwache«, warf Gerontius ein.
»Zweifelt Ihr an meiner Fähigkeit, ihn zu beschützen?« Merlin holte Luft und ließ die Macht in sich anschwellen, bis sogar der Krieger in der Lage sein musste, die Aura zu erkennen.
»Zweifelt Ihr daran, dass ich Euch aufspüren und Euch jeden Knochen im Leib brechen werde, wenn Ihr versagt – ob Hexer oder nicht?«
»Hört auf damit!«, rief Artor aus. »Ich fühle mich wie ein Knochen, um den zwei Hunde raufen. Geht nur, Gerontius. Wir sind gewiss bald zurück.«
»Ja, Herr.« Gerontius’ Stimme klang brüsk und zögernd, doch er gehorchte.
»Wir sind doch bald zurück, oder?«, fragte Artor, nachdem er gegangen war. »Ich habe heute Abend hart gearbeitet und bin müde.«
»Nein. Aber wir nehmen Pferde, also könnt Ihr zumindest sitzen.«
Artor hielt unvermittelt inne. »Pferde? Wohin reiten wir denn um diese Stunde?«
Vertraust du mir nicht?, dachte Merlin, aber Vertrauen und Vernunft gaben jämmerliche Verbündete ab. Plötzlich erinnerte er sich an etwas, das ihm die sächsische Hexe über ihren Gott erzählt hatte: dass er mitunter trügerisch wirkte, die Menschen zu ihrem eigenen Besten oder einem noch höheren Zwecke verriet. Vielleicht war er doch ein wenig wie Woden. Wenn du lernst, mir in kleinen Dingen zu vertrauen, die ich zu erklären vermag, dann wirst du vielleicht auch gehorchen, wenn es an der Zeit ist, mir zu folgen, ohne zu wissen warum…
»Wir reiten zum Tanz der Riesen. Er liegt sechs Meilen entfernt. Wenn wir jetzt aufbrechen, können wir dort sein, ehe der Mond vollends aufgegangen ist, und ich weiß nicht, wann wir diesen Teil des Landes wieder besuchen werden.«
Eine lange Stille setzte ein. »Mein Vater liegt dort begraben…«, meinte Artor schließlich. »Nun gut. Ich komme mit Euch.«
Die stehenden Steine warfen lange Schatten und standen düster im Mondlicht. Schweigend ritten Artor und Merlin um den Kreis. Vor ihnen erstreckte sich die Ebene bis zu dem in der Ferne verschwimmenden Horizont; einzig die Reihe der Grabhügel durchbrach die in Mondlicht getauchten Weiten.
»Wer hat diese Steine errichtet? Wozu dienen sie?«, wollte Artor wissen, während er das Monument unbehaglich betrachtete.
Sein Vater hat mir damals dieselbe Frage gestellt, erinnerte sich Merlin und begann, ihm von den uralten Stämmen zu erzählen und wie sie die Sterne beobachtet hatten.
»Die Ebene erscheint so leer«, flüsterte Artor, nachdem er geendet hatte, »als wären wir die einzigen lebenden Wesen auf der Welt.«
Merlin schaute sich um und erblickte mit der Sicht seines Geistes die magischen Schutzfeuer, die auf den Grabhügeln tanzten.
»Die einzigen lebenden Wesen vielleicht – aber an diesem Ort wimmelt es vor den Geistern jener, die vor uns gegangen sind. Ich habe Euch hergebracht, damit Ihr genau das lernt: Alles vergeht, aber nichts ist verloren.«
Artor schluckte. »Wo ist das Grab meines Vaters?«
Merlin deutete auf den letzten Grabhügel, der neben jenem der Fürsten angelegt worden war, die in der Nacht der langen Messer ermordet wurden.
»Dort liegt er, neben Ambrosius, seinem Bruder.«
»Ich habe ihn nie kennen gelernt… Ich frage mich, könnte ich ihn nun treffen, welche Ratschläge hätte er wohl für mich?«
»Es heißt, wenn ein Mann die Nacht an einem geheiligten Grabhügel verbringt, ist er am nächsten Morgen verrückt, tot oder ein Dichter. Wir müssen vor dem Morgengrauen zurück im Lager sein, aber wenn Ihr wollt, könnt Ihr eine Weile hier
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