Britannien-Zyklus 04 - Die Herrin der Insel
Ceawlin, dessen Augen wie die eines scheuenden Pferdes rollten, murmelte etwas auf Sächsisch.
»Was hat er gesagt?«, wollte Gwendivar von Eormenric wissen.
»Er hat den alten Mann Wotan genannt und ihn gefragt, ob er gekommen ist, um ihn in seine Halle zu holen…«
Merlin rappelte sich auf die Beine. »Nein, mein Kind, ich bin bisweilen ein Seher, aber kein Gott.« Mit sich verfinsternder Miene schaute er auf den Knaben hinab. »Ich sehe ein langes Leben und zahlreiche Siege für dich vorher.«
Seine düsteren Augen trafen jene Gwendivars. Erschrocken fuhr sie zurück und fragte sich, was er tatsächlich gesehen hatte. Doch er wandte sich ohne ein weiteres Wort um, stapfte davon und verschwand binnen weniger Lidschläge zwischen den Bäumen.
Gwendivar starrte ihm nach. Auch wenn Merlin kein Gott war, dachte sie, war er doch mehr als ein Mensch.
An einem von Sonnenlicht und Schatten durchwachsenen Tag Ende Mai kehrte der Hochkönig von Britannien nach Camelot zurück. Die Stürme eines weiteren Jahres hatten das Holz verwittert, die Sonnenstrahlen eines weiteren Jahres das Rieddach zu einem blasseren Goldton gebleicht. Artor erinnerte sich noch an das halb fertige Anwesen, als es noch aus rohem Holz und kahlem Stein bestanden hatte; mittlerweile wirkten sowohl die Gebäude als auch die Befestigungsanlagen, als wären sie aus dem Hügel gewachsen.
Wie immer näherte er sich Camelot mit gemischten Gefühlen. Dies war sein Zuhause, der Mittelpunkt seiner Macht, und hier, gleich einem immer währenden Mahnmal seines größten Versagens, weilte Gwendivar. Wäre er fähig gewesen, ihr Kinder zu schenken, wäre sie dann mittlerweile fett und träge? Doch es war anders gekommen, und so blieb sie im Wesen jungfräulich, ewig jung, wunderschön und jedem Manne verwehrt.
Dann durchquerten sie das Tor, und die gesamte Bevölkerung der Feste scharte sich um Artor, vertrieb jeden Gedanken mit überschwänglicher Willkommensfreude.
Erst spät nachts waren Artor und seine Königin allein. Artor ertappte sich dabei, froh zu sein, dass der Tag ihn körperlich erschöpft hatte. Ohne die aufwühlenden Bedürfnisse des Körpers würde es einfacher sein, sich der Dinge zu besinnen, die er zu sagen hatte.
Gwendivar saß im Schlafgewand auf der Truhe am Fußende des Bettes und kämmte sich das Haar. Lange Gewohnheit hatte ihn darin bestärkt, sie nicht mit Lust zu betrachten, doch es gab Zeiten, da durchbrach ihre Schönheit seine Verteidigungsmauern.
Sie ist eine Frau, dachte er, während sein Blick auf den festen Rundungen ihrer Brüste und Hüften ruhte, nicht mehr das unerfahrene Mädchen, das ich aus der väterlichen Halle geholt habe. Eine Frau, dachte er weiter, die etwas Besseres verdient als das, was ich ihr geben kann…
Er hörte auf, hin und her zu laufen, und drehte sich zu ihr um. »Meine Königin, wir müssen uns unterhalten – «
Sie griff wieder zum Kamm. Der goldene Schwall ihrer Haare verbarg ihr Gesicht immer noch halb, doch er spürte ihre Aufmerksamkeit. Ihre Bewegungen ließen die Flammen der Lampe flackern und jagten aufgeregte Schatten über die gewebten Teppiche an den Wänden.
Artor räusperte sich. »Ich habe dir einst erzählt, dass ich einen Sohn habe, nicht aber, von wem. Ich habe ihn mit meiner Schwester gezeugt, als ich bei den Riten zum Lugus-Fest alles um mich herum vergaß und mit ihr schlief.«
Betretene Stille folgte, dann begann der Kamm, sich wieder zu bewegen.
»Wenn du es nicht gewusst hast, war es auch keine Sünde«, erwiderte Gwendivar gedehnt, dann setzte sie ab und dachte nach. »Es ist dieser Knabe Medrod, nicht wahr? Morgauses jüngster Sohn, der letzten Winter zu dir kam.«
Artor nickte. »Ich hoffte, seine Geburt geheim halten zu können, es hat sich aber herumgesprochen. Womöglich hat er selbst es jemandem verraten. Medrod kann mitunter… recht seltsam sein.«
»Willst du ihn zu deinem Erben machen?«, erkundigte sie sich mit gerunzelter Stirn.
»Selbst wenn er ein so guter Mann wie Gwalchmai wäre, würden die Priester dem niemals zustimmen. Medrod kann nicht mein Erbe werden, aber die Menschen meinen… seine Existenz beweise meine Fruchtbarkeit. Einige der Häuptlinge haben sich an mich gewandt und vorgeschlagen, ich sollte mir eine andere Königin nehmen.«
»Willst du dich von mir scheiden lassen?« Gwendivar legte den Kamm beiseite und drehte sich zu ihm um. Weit aufgerissene Augen starrten ihn aus einem Antlitz, aus dem jede Farbe gewichen war,
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