Britannien-Zyklus 04 - Die Herrin der Insel
Medrod blitzgescheit, verführerisch und gefährlich ist? Wie viel bin ich bereit zuzugeben? Wie viel wage ich? Rückblickend wirkte ihr früheres Ich, das Fäden gesponnen und Ränke geschmiedet hatte, wie eine Fremde, doch der Nachhall der vergangenen Taten störte die gegenwärtigen wie die kleinen Wellen eines ins Wasser geworfenen Steins.
»Medrod ist ausgesprochen klug«, erklärte sie zögerlich. Scham mäßigte ihre Worte. »Doch der Altersunterschied zu seinen Brüdern war zu groß – Medrod war oft allein. Mit Freundschaft hat er wenig Erfahrung.« Sie setzte ab. »Ich habe ihn zu dem Glauben erzogen, er hätte ein Recht auf deinen Thron.«
»Das ist das Einzige, was ich ihm nicht geben kann«, erwiderte Artor mit sorgenvollem Blick. »Selbst wenn man ihn als meinen Sohn akzeptieren würde – was ich zu hinterlassen habe, geht an denjenigen über, der sich am besten dafür eignet. An den Mann, sofern es ihn gibt, den der Geist dieses Schwertes auserwählt. Das habe ich ihm auch gesagt. Ich weiß nicht, ob er mir geglaubt hat«, fügte er hinzu und umfasste den Griff der Waffe, die an seiner Seite hing.
»Dann musst du ihm irgendwie beibringen, sich des Schwertes würdig zu zeigen«, sprach Morgause, »denn genau das wird sein Begehr sein.«
Vielleicht, dachte sie, weist Medrod, indem er mich von sich weist, auch das zurück, was ich ihn gelehrt habe. Doch es fiel ihr schwer, daran zu glauben.
Artor starrte auf den See hinaus; sein Blick wirkte so trüb wie die aufgewühlte Oberfläche des Wassers.
»Um eines bitte ich dich«, sprach sie laut aus. »Nimm Gwalchmais Tochter mit, wenn du abreist. Sie ist ein wildes Geschöpf aus den Sumpfländern und von ihrem Wesen her nicht für das ruhige Leben geschaffen, das wir hier führen. Vielleicht ist Gwendivar in der Lage, sie zu zähmen.«
»Na schön. Wie lautet ihr Name?«
»Sie heißt Ninive.«
Zum Fest der Auferstehung Christi waren die Königin und ihr Hofstaat von Camelot zur Insel Avalon gereist, um in der dortigen Rundkirche der Messe beizuwohnen. Schwester Julia war hier, die mittlerweile das ewige Gelübde als Nonne abgelegt hatte, auch wenn Gwendivar den Eindruck hatte, in dem Mädchen lebe immer noch der Geist von einst. Hier hatte Königin Igraine ihr den Pfad zu ihrem Schicksal gewiesen. Und nun war sie selbst eine Frau und Königin, aber keine Mutter.
Die Leute begannen allmählich zu tuscheln, jener seltsame Knabe, Medrod, sei Artors Sohn. Gwendivar vermeinte, man betrachte sie inzwischen mit weniger Freundlichkeit, als hielte man sie für einen unfruchtbaren Stock und nicht für eine wahre Königin. Aber selbst das fruchtbarste Feld bringt ohne Saat keine Früchte hervor, dachte sie verbittert. Wenn sie schuldig war, dann nicht, weil sie kein Kind zu empfangen vermochte, sondern weil sie außerstande war, die Manneskraft des Königs zu wecken.
Nachdem der Gottesdienst vorüber war, verließ Gwendivar die nach Weihrauch duftende Düsternis des heiligen Gebäudes und blinzelte in den hellen Sonnenschein. An diesem Tag vergaß die Kirche ihre Geheimnisse des Blutes und des Leids und erfreute sich an wiedergeborenem Leben; die Welt schien in jene Freude mit einzustimmen. Über dem runden Gipfel des Tor hingen die Wolken des Sturms der vergangenen Nacht weiß und flaumig an einem blauen Himmel.
Der Wind war immer noch frostig, sodass Gwendivar dankbar für den Mantel war, den sie trug, aber die Wärme der Sonne versprach alsbald freundlicheres Wetter. Sie konnte einen solchen Tag einfach nicht damit verschwenden, mit einer Herde schnatternder Weiber zusammengepfercht zu sein – doch da erblickte sie an der Pferdetränke zwei kleine Köpfe, der eine rot, der andere hell, und begann zu lächeln.
»Ceawlin! Eormenric! Kommt her und geht ein Stück mit mir!«, rief sie.
»Oh, Herrin, wartet.« Netta, die Frau, die auf die Knaben aufpasste, kam herbeigeeilt. »Diese verwünschten Bengel haben einander nassgespritzt und brauchen trockene Sachen!«
Eormenric schüttelte sich wie ein Welpe, und Ceawlin blickte trotzig drein, als Gwendivar sich bückte, um die Kleider zu betasten.
»Stimmt, sie sind ein wenig feucht, aber es wird ja zunehmend wärmer. Sie werden schon bald wieder trocknen, wenn sie in der Sonne herumtollen!« Damit wandte sie sich den beiden Jungen zu. »Wollt ihr meine Begleitgarde sein, meine Krieger? Ich möchte gerne ein wenig im Obstgarten spazieren.«
Vergnügt glucksend rannten sie voraus, dann kehrten sie um und
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