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Britannien-Zyklus 04 - Die Herrin der Insel

Titel: Britannien-Zyklus 04 - Die Herrin der Insel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana L. Paxson
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sprangen um sie herum. Der fuchsrote Ceawlin hatte die Züge seiner belgischen Ahnen, seine Gedanken und seine Sprache hingegen waren durch und durch sächsisch. Es war Eormenric, ein schlaksiges, blondes Ebenbild seines Vaters Oesc, der die britische Sprache fließend beherrschte und mit der Lebensweise mühelos zurechtkam. Dies war das Werk Riganas, die als Prinzessin von Cantium geboren worden und nunmehr Cantuwaras Königin war. Es war klug von Artor gewesen, sie zu bitten, ihren Sohn nach Camelot zu schicken. Die Knaben hatten rasch Freundschaft geschlossen.
    An den Apfelbäumen schlugen bereits die Blätter aus. Nur noch ein paar blütenübersäte Zweige zeugten von der einstigen schneeweißen Pracht. Gwendivar hatte gerade einen Ast zu sich herabgezogen, um daran zu riechen, als sie hinter sich einen Schrei hörte.
    Ceawlin lag ausgestreckt im Gras, wie eine Puppe, die ein Kind achtlos beiseite geworfen hatte. Eormenric beugte sich über ihn, dann richtete er sich auf und sah Gwendivar Hilfe suchend an.
    »Er ist vom Baum gefallen!«
    Gwendivar kniete nieder. Sie spürte, wie ihr Herz vor Aufregung raste, während sie die Hand an den Hals des Knaben legte, um den Puls zu ertasten, der im Gleichklang mit dem ihren pochte.
    »Ist er auf den Kopf gestürzt?«, fragte sie und lehnte sich auf die Fersen zurück.
    »Wohl kaum«, antwortete Eormenric. »Wird er sterben?«
    »Nicht an diesem Tag«, gab sie zurück und hoffte, damit die Wahrheit zu sagen. »Aber sein Schädel wird ganz schön brummen, wenn er aufwacht.« Behutsam tastete sie seine Glieder ab.
    Wimmernd regte sich Ceawlin. »Modor…«
    Um das zu verstehen, brauchte man keine Kenntnisse der sächsischen Sprache. Gwendivar lehnte sich mit dem Rücken an den Baumstamm und zog den Jungen an die Brust. Flüchtig erinnerte sie sich daran, wie der Priester über das Bild der Mutter Christi mit ihrem toten Sohn in den Armen gesprochen hatte. Doch dieser Junge würde nicht sterben – sie würde es nicht zulassen! Sie verstärkte den Griff um Ceawlin, während Eormenric sich so selbstverständlich wie ein Welpe unter ihren anderen Arm schmiegte.
    »Es wird wieder gut«, murmelte sie. »Es wird alles wieder gut…«
    Der Baum an ihrem Rücken bildete eine unerschütterliche Stütze, der Duft des zertrampelten Grases war berauschend. Gwendivar verlor sich in der Stärke des Stammes, und plötzlich fühlte sie sich, als wäre sie selbst zu dem Baum geworden, als wäre sie mit der erwachenden Erde verwurzelt und bezöge durch ihr Rückgrat Kraft aus ihr. Macht strömte aus den Tiefen der Erde durch sie hindurch in das Kind in ihren Armen.
    Abermals regte sich Ceawlin, und diesmal stand Erkennen in seinem Blick, als er die Augen aufschlug. Gwendivar rechnete damit, dass er sich aufrappeln und von ihr lösen würde, doch er seufzte nur und schmiegte sich noch enger an sie.
    Sie verlangsamte den Atem und beschwor die veränderte Sicht herbei, die ihr die Geister der Apfelbäume zeigen würde. Die Welt um sie herum begann sich zu wandeln, aber der Wandel erfolgte zu rasch. Im Zauber des Augenblicks wagte sie sich weiter als je zuvor. Sie war die feste Erde und die Wärme der Sonne, der Wind, der ihr das Haar zerzauste, die biegsame Kraft des Baumes, der Körper einer Frau und das Kind in ihren Armen – alles war Teil eines einzigen Ganzen. Mit dem Frühling wurde Leben aus dem Leib der Erde wiedergeboren, so wie der christliche Gott aus seinem Grab auferstand. Und in jenem Augenblick begriff Gwendivar, dass sie keineswegs unfruchtbar war.
    Zwar achtete sie nicht darauf, wie viel Zeit verstrich, aber die Sonne war gewiss noch nicht weit über den Himmel gewandert, als ihr bewusst wurde, dass jemand sprach. Eine Weile lauschte sie nur dem melodischen An- und Abschwellen der Worte, denn es war eine Sprache, die sie nicht verstand. Der Klang schien von allen Seiten um sie herum zu kommen, so als tuschelte der Wind in den Blättern.
     
    »Komm zum heiligen Tempel der Jungfrauen
    Wo der blühende Hain von Apfelbäumen
    Einen Altar umringt, der Weihrauch verströmt.«
     
    Die Worte wurden deutlicher, und sie erkannte, dass sie nun die britische Sprache hörte.
     
    »Die Rosen werfen Schatten auf den Boden,
    Und kühle Quellen murmeln durch Apfelzweige,
    Wo aus bebenden Blättern tiefer Schlaf herabsinkt.«
     
    Es musste stimmen, dachte Gwendivar, denn Ceawlin hatte die Augen geschlossen und atmete gleichmäßig. Er war in einen heilenden Schlummer versunken, und sogar

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