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Britannien-Zyklus 04 - Die Herrin der Insel

Titel: Britannien-Zyklus 04 - Die Herrin der Insel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana L. Paxson
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Augenblick stellte er fest, dass er Ninive anstarrte, die greifbar und lebendig neben der Königin stand. So lange war er vor der Macht der Vorahnung geflohen, die ihn seit seiner Kindheit heimgesucht hatte. Nun, da er sie brauchte, lag die einzige Bedeutung, die er verstand, im wunderschönen Antlitz eines jungen Mädchens.
    Gwendivar beugte sich vor und streckte die Hand aus. »Komm, Medrod – ich heiße dich zu Hause willkommen…«

VI
    Ein Wind aus dem Norden
    A.D. 513
     
    »Fürstin, ein Mann ist eingetroffen – aus Gallien…«
    Medrods Stimme klang leise. Die Jahre bei den Sachsen hatten seine undeutliche, nördliche Aussprache weicher werden lassen. Gwendivar ließ das Stickwollknäuel fallen, das sie aufgewickelt hatte. Als es über den Boden rollte, bückte Medrod sich anmutig, hob es auf und reichte es ihr mit einer Verneigung zurück. Seit man ihn so unerwartet ins Sommerland zurückgebracht hatte, war er zu einem anerkannten Mitglied ihres Hofes geworden.
    Der dürre Knabe, der vor neun Jahren so kurz in Camelot aufgetaucht war, hatte ihr nie in die Augen geblickt. Nun, da sie wusste, dass er Artors Sohn war, verstand sie weshalb. Sie war froh, dass der König es ihr selbst erzählt hatte und sie es nicht durch Gerüchte oder, schlimmer noch, von Cynric hatte erfahren müssen. Sofern Medrods Geburt ihm Kummer bereitete, ließ er es sich nicht mehr anmerken. Seine Mutter hatte ihn gut erzogen, dachte die Königin mit einem zynischen Lächeln – jedenfalls wusste er, wie man sich bei Frauen nützlich machte. Doch sein schweigsames Auftreten erschreckte sie noch immer, und sie war nach wie vor weit davon entfernt, ihn zu verstehen.
    »Mit Neuigkeiten?« Es lag drei Monate zurück, seit sie zuletzt von Artor gehört hatte, und ein feuchter Winter ging in einen frostigen Frühling über.
    »Er hat Briefe dabei, ist aber kein Bote.«
    Ob des hämischen Tonfalls zog Gwendivar eine Augenbraue hoch, doch etwas darauf zu erwidern wäre ein Zeichen von Schwäche gewesen, und sowohl Gefühl als auch Erfahrung legten ihr nahe, vor diesem Burschen stets stark zu erscheinen.
    »Soll ich ihn hier empfangen oder ihn auf eine förmliche Audienz warten lassen?«, fragte sie und harrte neugierig seiner Antwort.
    Seit Medrods Ankunft war sie in sich gegangen. Inzwischen war sie froh darüber, dass sie den ersten zornigen Gedanken, den Burschen zu Morgause zurückzuschicken, unterdrückt hatte. Schließlich hatte er nicht darum gebeten, geboren zu werden. Gewiss, dachte sie leicht verärgert, sie konnte kein Kind empfangen, solange der König in Gallien weilte, selbst wenn Artors Manneskraft im Bett erhalten bliebe. Medrod war Artors einziger Sohn; trotz seiner zwielichtigen Herkunft konnte er Artors Erbe werden.
    »Nicht hier.« Medrod sah sich im gemütlichen Durcheinander des Sonnenhauses der Frauen um. »Und dennoch glaube ich, dies ist ein Mann, den Ihr an Euch zu binden wünscht. Sein Name lautet Theodoric. Er ist ein Gote aus dem Königreich Tolosa und ein Seemann. Kleidet Euch prunkvoll, aber trefft ihn im Garten.«
    Bedächtig nickte Gwendivar. Ob Medrod nun das Gespür eines Königs besaß oder nicht, jedenfalls wusste er, wie man Menschen lenkte. Sie betrachtete den Winkel der Sonne.
    »Das ist ein guter Rat. Bring ihn gleich nach Mittag zu mir in den Garten.«
    Gwendivar wartete bereits auf der Steinbank neben dem Lavendelbusch, als Theodoric den Garten betrat. Bisweilen vergaß man, dass die Goten hundert Jahre lang Teil des Kaiserreiches gewesen waren. Gewiss, sie hatten sich nicht immer als friedlich erwiesen, dennoch hatten sie Seite an Seite mit den Römern gelebt und deren Traditionen und Gesetze erlernt. Sie waren sogar eine Art ketzerischer Christen, hatte sie gehört. Bestimmt war dieser Mann kein Barbar, so groß und von Wind und Sonne gegerbt er auch sein mochte.
    »Ich bin Theodoric, Sohn des Theudebald.« Der Gote blieb vor ihr stehen und verneigte sich.
    Die Königin erhob sich, um ihn zu begrüßen und streckte die Hand aus. »Admiral«, sprach sie auf Lateinisch, »seid willkommen in Britannien. Hat mein Gemahl Euch Briefe für mich mitgegeben?«
    »Das hat er. Außerdem meinte er, wenn ich sie wohlbehalten überbrächte, wäre das meine beste Empfehlung bei Euch. Ich verließ König Artor am letzten Tag des Februar.« Er zog eine Briefröhre aus dem Futteral an seiner Seite und reichte sie ihr.
    »Tatsächlich?«, meinte sie und rechnete nach. »Dann habt Ihr eine rasche Überfahrt geschafft.

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