Brixton Hill: Roman (German Edition)
Sie spürte sie kaum, und das wenige, was sie spürte, fühlte sich nicht so an, als gehörte es zu ihrem Körper.
Irgendwie schafften sie es die Treppe rauf. Die beiden Frauen, Mädchen eigentlich, trugen sie fast. Als sie oben angekommen waren, machten sie eine Pause.
»Pete müsste jeden Moment kommen«, sagte die Frau, die ihr den Mantel nicht hatte geben wollen. »Du willst sie aber nicht mitnehmen, hoffe ich?«
»Natürlich nehmen wir sie mit.«
»Wir bringen sie zur Polizei, die sollen sich um sie kümmern.«
Em flüsterte: »Keine Polizei.«
»Was?«
»Da hörst du’s. Keine Polizei, hat sie gesagt. Jetzt stell dich nicht so an.«
»Wer weiß, was mit ihr los ist?«
»Hör mir mal zu, Linny. Weißt du noch, was letztes Jahr an Weihnachten mit dir los war? Ja? Gut. Und jetzt halt den Mund. Wir nehmen sie mit.«
Em wurde wieder gepackt, diesmal deutlich unsanfter, und es ging weiter, diesmal ohne Treppen. Anstrengend war es trotzdem, und ihre nasse, kalte Kleidung klebte an ihr und schien zentnerschwer zu sein.
»Da ist Pete. Ich rede mit ihm.«
Die Geräusche eines laufenden Motors direkt neben ihnen. Die Stimme eines Mannes, aber Em gab sich keine Mühe zu verstehen, was gesagt wurde. Die Frau, die bei ihr geblieben war – die skeptische –, sagte wenig überzeugt: »Wird schon alles gut. Wir haben es nicht weit.«
Dann saßen sie in einem warmen Auto. Em öffnete kurz die Augen, sah, dass es ein Taxi war.
»Lehn dich an. Schlaf ruhig ein bisschen. Wir sind gleich da.«
Em hatte die Augen längst wieder geschlossen und sackte zur Seite weg. Hinlegen. Schlafen. Nur ein bisschen.
»Nicht einschlafen! Nachher wird sie nicht mehr wach!«, sagte die Skeptische.
»Das ist doch nur bei einer Kopfverletzung. Oder wenn jemand ohnmächtig war.«
»Woher willst du wissen, dass sie keine Kopfverletzung hat?«
Hände, die Ems Kopf abtasteten. Zentimeter für Zentimeter. Dann ihre Stirn. »Hier ist was.«
Ihre Beule.
»Also. Sie soll nicht einschlafen.«
»Meinst du?«
»Studieren wir Medizin oder Musik? Aber sicher ist sicher.«
»Soll ich die Heizung höher drehen?«, fragte der Mann.
»Schadet nicht«, sagte die freundliche Frau.
»Wie gut, dass wir es heute nicht so weit haben«, sagte der Mann.
Die beiden Frauen sprachen weiter mit ihr. Bleib wach. Schlaf nicht ein. Wir sind gleich da. Alles wird gut .
Tatsächlich dauerte die Fahrt nicht lange. Der Mann hob sie aus dem Wagen und trug sie in ein Haus, die Treppen hinauf, in eine Wohnung. Er brachte sie ins Bad und setzte sie auf der Toilette ab. »So, ab hier machen die Mädchen weiter. Alles Gute.«
Em ließ sich widerstandslos ausziehen. Sie hörte, wie Wasser in die Badewanne lief.
»Nicht so heiß«, sagte die Skeptische. »Sie ist doch eiskalt.«
»Ja, eben.«
»Nein, der Temperaturunterschied ist dann zu groß. Lauwarm. Und dann langsam wärmer.«
»Du solltest vielleicht doch das Fach wechseln, Frau Doktor.«
Sie halfen Em in die Wanne. Das Wasser brannte auf ihrer Haut. Sie ließen nicht zu, dass sie davor zurückwich. Und sie hatten recht. Nach einer Weile kehrte die Wärme in Ems Körper zurück, und sie fühlte sich ein wenig besser. Immer noch zerstört und sterbensmüde, aber besser.
»Wer seid ihr denn?«, fragte sie.
»Ah, sie kann sprechen.« Die Freundliche war höchstens zwanzig und bildhübsch. Ihr langes blondes Haar war kunstvoll hochgesteckt, das Make-up wirkte glamourös, als wäre sie bei einer Filmpremiere gewesen. Ihr Kleid unterstrich die Vermutung. Die andere war im selben Alter, nicht hübsch, aber auf eine herbe Art schön. Sie trug die langen kastanienbraunen Locken offen und war ebenfalls gestylt wie für einen Fototermin von mindestens nationaler Wichtigkeit.
»Ich bin Linda«, sagte die Dunkelhaarige. »Das da ist Becca.«
»Hi«, sagte Becca.
»Emma«, sagte Em.
Linda sammelte Ems Kleider auf und steckte sie in die Waschmaschine. Handy, Schlüssel und Geldbeutel legte sie auf den Rand des Waschbeckens. Die durchweichte Zigarettenpackung warf sie gleich in den Müll.
»Wolltest du dich umbringen?«, fragte Becca.
»Nein, das wollte jemand anderes für mich erledigen.« Em fiel das Sprechen schwer. Der Satz kam schleppend und stockend.
»Scheiße. Wer?«
»Keine Ahnung.«
»Wollte der dich ausrauben?«
»Ich weiß es nicht.«
Linda kippte duftendes Badeöl in die Wanne und ließ heißes Wasser nachlaufen. »Gut so?«
Em nickte. »Danke.«
»Sei froh, dass wir noch auf Pete warten
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