Brixton Hill: Roman (German Edition)
oder ob sie ihn fürchten musste.
»Sag Patricia, dass es mir gut geht.« Sie drehte sich um und ließ ihn stehen. Sie rannte nicht. Sie wusste, dass er ihr nicht folgen würde.
Em hatte lange auf Frank warten müssen. Es war mittlerweile kurz nach halb zwölf, und sie fühlte sich müde und ausgelaugt, war gleichzeitig aber voller Unruhe. Sie setzte sich auf die Mauer der Uferpromenade, stützte den Kopf in die Hände und dachte nach. Frank. Deutlich nervös, weil sie von Braidlux wusste. Hatte er Angst, dass sie ihn an Patricia verriet? Oder steckte mehr dahinter? Wenn Patricia davon erfuhr, wäre Frank nicht nur komplett aus der Bank draußen. Sie würde mit hoher Wahrscheinlichkeit von Katherine fordern, sich auf der Stelle scheiden zu lassen. Sollte sie sich weigern, würde sie ebenfalls rausfliegen. Patricia war nicht dafür bekannt, Nachsicht zu üben, wenn jemand ihre Regeln verletzte. Frank hatte streng genommen erst seit ein paar Minuten ein Motiv, Em aus dem Weg zu schaffen. Und Em hatte ihm dieses Motiv selbst geliefert. Hinzu kam allerdings, dass Franks Einkünfte von Braidlux hoch genug waren, sodass ein Rauswurf bei der Bank zwar unangenehm, aber mitnichten existenzbedrohend war. Nein, wahrscheinlich hatte er wirklich nichts mit den Anschlägen zu tun.
Wer sonst? Robert Hanford war die einzige andere Person, die sie im Zusammenhang mit Braidlux kannte. Alle anderen Namen auf der Liste, die Jay ihr gezeigt hatte, waren ihr unbekannt. Und Hanford hatte nicht den geringsten Grund, Em den Tod zu wünschen. Es passte alles nicht zusammen. Sie kam nicht weiter, wie sie es auch drehte und wendete.
Em beschloss, Alex anzurufen und sich mit ihm zu treffen. Vielleicht übersah sie etwas, und er könnte ihr helfen. Sie zog ihr Handy aus der Hosentasche und wollte ihn anrufen. Als sie Schritte hörte, beschloss sie zu warten, bis derjenige vorbeigegangen war. Ein Typ in Jeans und Kapuzenpulli schlenderte den Uferweg entlang. Sie sah auf ihr Handy und suchte Alex’ Nummer heraus. Der Typ ging an ihr vorbei, blieb dann stehen und tastete sich ab, als würde er etwas suchen. Dann drehte er sich um, kam auf sie zu und fragte sie nach Feuer. Em nickte und suchte nach ihrem Feuerzeug. Sie war vollkommen überrascht und nicht mehr in der Lage, sich zu wehren oder auch nur festzuhalten, als er ihre Beine packte und sie über die Mauer stieß. Em stürzte zwei, drei Meter tief ins flache Wasser.
Gerade war auflaufendes Wasser, aber der Höchststand der Flut würde erst in ein paar Stunden erreicht sein. Sie wollte sich aufrichten, spürte dann aber einen Fuß im Nacken, der sie nach unten drückte. Em hatte nur eine Möglichkeit zu entkommen: sich ins tiefere Wasser zu rollen und versuchen zu schwimmen.
Sie tat es.
Sie schluckte Wasser, tauchte hustend auf, und wieder spürte sie einen Tritt gegen ihren Körper, er war immer noch da, wollte sie immer noch nicht an Land lassen. Em tauchte ab, hielt die Luft an, ließ sich unter Wasser treiben, bis sie es nicht mehr aushielt und atmen musste. Sie tauchte auf, schnappte nach Luft und sah, dass sie ein Stück in Richtung Flussmitte abgetrieben war. Prustend hielt sie sich über Wasser, sah sich nach dem Ufer um, sah, dass er dort stand und sie ganz woanders vermutete, jedenfalls schien er, soweit sie das auf die Entfernung und in der Dunkelheit erkennen konnte, in eine andere Richtung zu spähen. Sie hoffte darauf, dass nicht ausgerechnet jetzt ein Schiff kommen würde, und versuchte, in die entgegengesetzte Richtung wegzuschwimmen. Die Themse war kalt. Das Wasser roch nach Diesel. Als sich der Mann am Ufer ruckartig umdrehte, tauchte sie noch einmal unter und ließ sich wieder treiben, bis sie hochkommen und atmen musste. Sie hatte den Kopf kaum über Wasser, als sie gegen einen der Pfeiler der Blackfriars Bridge knallte. Sie stieß sich heftig den Kopf, verlor aber nicht das Bewusstsein. Es würde eine Beule geben, aber in diesem Moment begrüßte sie den Schmerz, weil er sie klar denken und rasch handeln ließ. Sie suchte Halt an dem Brückenpfeiler, fand aber nichts, an das sie sich klammern konnte. Immerhin stabilisierte sie sich. Sie wartete, bis sie ruhiger atmete und sich orientiert hatte, dann hielt sie Ausschau nach dem Verfolger.
Er stand am Ufer. Em drückte sich gegen den Pfeiler und wartete ab, was er als Nächstes tun würde. Er stand einfach nur da und rührte sich nicht. Ihre Zähne schlugen hart aufeinander, sie zitterte vor Kälte. Aber sie konnte
Weitere Kostenlose Bücher