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Brodecks Bericht (German Edition)

Brodecks Bericht (German Edition)

Titel: Brodecks Bericht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippe Claudel
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mir das Essen wegnehmen, wenn ich trödelte. Mein Bauch war so voll wie seit vielen Monaten nicht mehr, und er tat mir weh. Ich hatte das Gefühl, als könnte er gleich platzen und ich müsste in diesem schönen Haus, unter dem wohlwollenden Blick meines Gastgebers sterben, weil ich mich überfressen hatte, nachdem ich vorher fast verhungert war.
    Als ich endlich die Platte und meinen Teller sauber ausgeleckt und mit den Fingerspitzen sämtliche Brotkrümel, die noch auf dem Tisch lagen, aufgesammelt hatte, führte der alte Mann mich ins Schlafzimmer. Dort stand ein Holzzuber mit warmem Seifenwasser. Mein Gastgeber kleidete mich aus, half mir in den Bottich und wusch mich. Das Wasser rann über meine blasse, nach Schmutz und Leid stinkende Haut, und der Alte wusch mich zärtlich wie ein Vater sein Kind.
    Am nächsten Tag erwachte ich in einem hohen Bett aus Mahagoniholz, zwischen gestärkten und bestickten Laken, die dufteten wie eine frische Brise. An den Zimmerwänden hingen Stiche, Porträts von Männern mit Schnurrbart und Jabot, einige von ihnen trugen militärische Abzeichen. Sie sahen mich aus leeren Augen an. Das Bett war so weich gewesen, dass mein ganzer Körper schmerzte und ich nur mit Mühe aufstehen konnte. Durch ein Fenster sah man die Felder am Rand des Dorfes, gepflegte Felder, von denen einige schon eingesät waren und andere noch bearbeitet wurden; Gespanne zogen Eggen, die die Erde auflockerten und belüfteten, eine schwarze Krume, die ganz anders als unsere rote klebrige Erde war. Die Sonne stand dicht über den Pappeln und Birken am Horizont, und was ich für die Morgenröte gehalten hatte, war in Wirklichkeit der Sonnenuntergang. Ich hatte eine ganze Nacht und einen ganzen Tag geschlafen, traumlos und ohne ein einziges Mal aufzuwachen. Ich fühlte mich zugleich schwer und von einer unbestimmten Last befreit.
    Auf einem Stuhl lagen saubere Kleider für mich bereit. Daneben stand ein Paar Wanderschuhe aus weichem, starkem Leder, unverwüstliche Schuhe, die ich auch jetzt, während ich dies schreibe, trage. Nachdem ich mich angezogen hatte, betrachtete ich mich im Spiegel und sah einen Mann, den ich, wie mir schien, einmal in einem anderen Leben gekannt hatte.
    Mein Gastgeber saß, wie am Abend zuvor, draußen auf der Bank vor seinem Haus, zog an seiner Pfeife und blies den Rauch aus, der nach Honig und Farn duftete. Er bat mich, neben ihm Platz zu nehmen. In diesem Augenblick wurde mir bewusst, dass ich noch kein einziges Wort zu ihm gesagt hatte.
    «Ich heiße Brodeck.»
    Er zog geräuschvoll an seiner Pfeife, und kurz verschwand sein Gesicht in der duftenden Wolke. Dann wiederholte er leise:
    «Brodeck … Brodeck … Ich bin froh, dass Sie meine Einladung angenommen haben. Ich vermute, dass Sie noch einen langen Weg vor sich haben, bis Sie wieder zu Hause sind …»
    Ich wusste nicht, was ich ihm antworten sollte. Ich hatte das Sprechen und Denken verlernt.
    «Seien Sie mir nicht böse», sprach der alte Mann weiter, «aber manchmal ist es besser, wenn man nicht dahin zurückkehrt, woher man gekommen ist. In der Erinnerung ist der Ort, den man verlassen hat, oft anders als der, den man bei seiner Rückkehr vorfindet. Die Menschheit war lange Zeit von Raserei gepackt. Sie sind noch jung … Denken Sie daran.»
    Er rieb ein Streichholz über die Steinbank und zündete seine erloschene Pfeife wieder an. Die Sonne war jetzt endgültig zur anderen Seite der Welt hinübergegangen. Am äußersten Rand der Erde waren nur rötlich schimmernde Flecken geblieben, die schließlich in den Feldern versickerten. Langsam verfärbte sich der Himmel schwarz, und Sterne funkelten bereits, während die letzten Mauersegler und die ersten Fledermäuse umherschwirrten.
    «Ich werde erwartet.»
    Mehr bekam ich nicht heraus.
    Der alte Mann schüttelte langsam den Kopf. Ich schaffte es, den Satz zu wiederholen, brachte aber Emélias Namen nicht über die Lippen. So lange hatte ich ihn für mich behalten, dass ich wohl fürchtete, er könnte verloren gehen, wenn ich ihn ausspräche.
    Vier Tage blieb ich bei dem alten Mann, schlief wie ein Murmeltier und speiste wie ein Fürst. Er sah mir wohlwollend zu, tat mir auf, aß aber selbst nie einen Bissen. Manchmal schwieg er, manchmal sprach er mit mir. Ich sagte nichts, er bestritt unsere Unterhaltung alleine, aber dieser Monolog schien ihm nicht zu missfallen, und auch ich fühlte mich merkwürdig wohl, wenn ich seinen Worten lauschte. Es kam mir so vor, als könnte ich

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