Brodecks Bericht (German Edition)
Bauernhöfen der Gegend und versäuft das wenige Geld, das er verdient. Seine Frau wiegt doppelt so viel wie er, was ihn aber nicht daran hindert, sie windelweich zu prügeln, wenn er besoffen ist und erst die Wohnung verwüstet und dann das spärliche Geschirr zerschlagen hat. Sein ältester Sohn heißt Hans.
«Und was hat er zu dir gesagt?», frage ich.
Der Junge sieht seinen Vater an, als müsste er bei ihm die Erlaubnis einholen, meine Frage zu beantworten, aber dem ist unser Gespräch völlig egal. Er hat nur Augen für sein bereits leeres Glas zwischen seinen Händen, das er mit einem Ausdruck schmerzlicher Melancholie betrachtet. Ich bedeute Pipersheim, der uns hinter seinem Tresen beobachtet, ihm nachzuschenken. Er nimmt den Zahnstocher aus dem Mund, auf dem er ständig kaut, weshalb er wundes, blutiges Zahnfleisch und einen übelriechenden Atem hat, greift nach der Flasche, kommt zu uns an den Tisch und füllt Dörfers Glas. Dörfers Miene erhellt sich.
«Er hat mich nach dem Weg zum Gasthaus Schloss gefragt.»
«Kannte er den Namen, oder hast du ihn ihm gesagt?»
«Er kannte ihn.»
«Und was hast du ihm geantwortet?»
«Ich habe ihm erklärt, wie er hinkommt.»
«Und was hat er getan?»
«Er hat aufgeschrieben, was ich gesagt habe, in ein kleines Heft.»
«Und dann?»
«Dann hat er mir vier schöne Bucker aus Glas geschenkt, er hat sie aus der Tasche gezogen und gesagt: Zum Lohn für Ihre Bemühungen.»
«Für Ihre Bemühungen?»
«Ja, ich habe das nicht verstanden, so was sagt man bei uns nicht.»
«Und hast du die Bucker noch?»
«Nein, Peter Lülli hat sie mir abgewonnen. Er ist gut, er hat einen ganzen Sack voll.»
Gustav Dörfer hört nicht zu. Er starrt nur auf sein Glas, das er wieder allzu schnell leert. Der Junge zieht den Kopf zwischen die Schultern. An seiner Stirn bemerke ich blaue Flecken, kleine Narben, alte und frische Wunden und Beulen, und lässt er es einmal zu, dass ich ihm in die Augen sehe, erzählt sein Blick von Schlägen und Schmerzen, von den vielen Verletzungen und Demütigungen, die ihm jeder Tag bringt.
Ich denke wieder an das Heft, das ich in den Händen des Anderen gesehen habe und in dem er einfach alles notierte, zum Beispiel auch den Weg zu einem Gasthaus, das sich nur sechzig Meter von seinem Standpunkt entfernt befand. Je länger er in unserem Dorf blieb, desto beunruhigter waren die Dorfbewohner beim Gedanken an dieses Heft. Dass der Andere bei jeder Gelegenheit sein Heft aus der Tasche zog, war bald Anlass zu bösem Gerede, während diese Gewohnheit anfangs noch wie eine harmlose Marotte wahrgenommen worden war, wie eine ulkige Eigenart, über die man mal schmunzelte, mal ein bisschen lästerte.
Besonders gut erinnere ich mich an ein Gespräch, das ich am 3. August, einem Markttag, belauscht habe, und zwar zu der Stunde, als die Marktstände bereits zusammengeräumt wurden und nur noch ein wenig verdorbenes Gemüse, schmutziges Stroh, Schnüre und Splitter von Holzkisten übrig waren, eben all die unbrauchbaren Überreste, die herumliegen, als hätte die Flut sie dort angeschwemmt.
Poupchette liebt den Markt, und deshalb nehme ich sie fast jede Woche mit. Beim Anblick der kleinen Tiere in ihren Gattern, all der Zicklein, Kaninchen, Hühner und jungen Enten, klatscht sie lachend in die Hände. Und dann die Gerüche, die ihre kleinen Nasenflügel zum Beben bringen – Krapfen, Fettgebackenes, Glühwein, Esskastanien, gegrilltes Fleisch –, und die vielen Geräusche und das Stimmengewirr, die Schreie, die Rufe der Straßenhändler, die Litaneien der Devotionalienhändler und der gespielte Zorn, wenn gefeilscht wird. Aber am liebsten mag es Poupchette, wenn Viktor Heidkirch mit dem Akkordeon kommt. Er spielt ein paar Töne an, die mal wie Klagen, mal wie Freudenschreie klingen. Man macht Platz für ihn, bildet einen Kreis, und plötzlich wird es stiller auf dem Markt, als ob diese Musik jetzt wichtiger wäre als alles andere.
Viktor spielt auf sämtlichen Festen und Hochzeiten der Gemeinde, er ist der Einzige von uns, der musizieren kann und überhaupt ein funktionierendes Musikinstrument besitzt, obwohl ich glaube, dass es im Gasthaus Schloss im kleinen Saal, wo sich die Erweckensbruderschaft trifft, ein Klavier gibt und vielleicht sogar noch ein paar Blechblasinstrumente. Diodème hat mir diese Vermutung eines Tages bestätigt, weil er einmal einen kurzen Blick hatte hineinwerfen können, als die Tür nicht ganz geschlossen war. Ich zog ihn auf und
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