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Brodecks Bericht (German Edition)

Brodecks Bericht (German Edition)

Titel: Brodecks Bericht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippe Claudel
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dieses Heft nie unser Dorf verlassen!»
    Das hatte Dorcha gesagt.
    «Vielleicht hast du recht», sprach die dunkle Stimme weiter, die ich immer noch nicht erkannte, «das Notizbuch muss hierbleiben, oder noch besser: Der Besitzer des Büchleins selbst darf das Dorf nicht mehr verlassen …»
    Danach kam nichts mehr. Ich wartete. Ich wagte nicht, mich zu bewegen. Nach einer Weile jedoch spähte ich vorsichtig um die Säule herum. Keine Menschenseele. Die vier Männer waren fort, und ich hatte nichts bemerkt. Sie hatten sich in Luft aufgelöst wie die Nebelfelder, die der Südwind hier an manchen Aprilmorgen von den Gipfeln der Berge fegt. Ich habe mich gefragt, ob nicht vielleicht alles, was ich gehört hatte, nur ein Traum gewesen war. Poupchette zog mich am Ärmel.
    «Hause, mein Papa, Hause?»
    Ihre kleinen Lippen glänzten von der fettigen Wurst, ihre Augen strahlten. Ich küsste sie auf die Stirn und setzte sie hoch auf die Schultern. Sie griff in mein Haar und schlug mit den Beinen gegen meine Brust: «Hü, Papa, hü, Papa!» Ich nahm Emélia bei der Hand und half ihr auf. Ich drückte sie an mich, streichelte ihr schönes Gesicht und küsste sie auf die Wange, dann gingen wir drei nach Hause. In meinem Kopf klangen noch die Stimmen der Männer nach, ihre Stimmen und die Drohungen, die sie ausgesprochen hatten, wie man Samenkörner in den Acker streut, wo sie keimen werden.
    Inzwischen ist Gustav Dörfer über dem Kaffeehaustisch eingeschlafen, wahrscheinlich nicht nur, weil er zu viel getrunken hat, sondern weil er erschöpft und des Lebens überdrüssig ist. Sein Junge und ich sprachen schon nicht mehr über den Anderen . Der Kleine begeisterte sich für Vögel, was ich bisher nicht gewusst habe, und wissbegierig fragt er mich über die Arten aus, die ich kenne und in meinen Listen erfasse. So sprechen wir zunächst über Drosseln, die sogenannte Wacholderdrossel und die Märzdrossel, die, wie der Name schon sagt, erst im Frühjahr wieder zu uns kommt, dann über die Kreuzschnäbel, von denen es in den Kiefernwäldern nur so wimmelt, die Goldhähnchen, Meisen, Amseln, Schneehühner, Auerhähne, Bergfasanen, über die streitbaren Eichelhäher mit den blauen Federn und über die Krähen, Raben, Dompfaffen, Adler und Eulen.
    Dieses Kind, das mit seinen zwölf Jahren täglich verprügelt wird, weiß erstaunlich viel, und sein Blick wird wach und neugierig, sobald er von Vögeln spricht. Sobald er sich aber zu seinem Vater umdreht, dessen Anwesenheit er für ein paar Augenblicke vergessen hat, werden seine Augen wieder glanzlos und stumpf. Er sieht, wie sein Vater mit geöffnetem Mund schnarcht, das Gesicht platt auf dem alten Holztisch liegend, die Mütze schief auf dem Kopf, während weißer Speichel über seine Lippen fließt.
    «Wenn ich einen toten Vogel sehe und in die Hand nehme», sagt Hans Dörfer, «dann muss ich weinen. Ich kann nichts dafür. Nichts kann den Tod eines Vogels rechtfertigen. Aber wenn mein Vater abkratzt, jetzt, hier neben mir, dann würde ich um den Tisch herum tanzen, das schwöre ich, und ich würde Ihnen einen ausgeben. Ehrenwort!»

16
    Ich bin in unserer Küche. Eben habe ich mir die Mütze aus Marderpelz aufgesetzt, die Pantoffeln angezogen und die Handschuhe übergestreift.
    Mir wird warm, ich entspanne mich, es ist das Gefühl, das man manchmal hat, wenn man nach einer Nachmittagswanderung im Spätherbst ein oder zwei Gläser Glühwein trinkt. Ich fühle mich wohl und denke nach. Über den Anderen . Natürlich weiß ich nicht, was er gedacht hat, nur weil ich jetzt diese Sachen anziehe, die er in Auftrag gegeben hat und die für ihn bestimmt waren – wie war er Stern überhaupt begegnet, er kam doch nur selten bis ins Dorf hinunter? Und wie hat er erfahren, dass Stern Leder und Pelze nähte? Ich kann nicht die Gedanken des Anderen lesen, indem ich seine Mütze anziehe, aber trotzdem habe ich das Gefühl, ihm näherzukommen. Vielleicht wird er mir ein Zeichen geben, vielleicht erfahre ich so, was wirklich geschehen ist.
    Ich bin ziemlich ratlos, das muss ich zugeben. Man hat mir einen Auftrag gegeben, dem ich einfach nicht gewachsen bin. Ich bin weder Rechtsanwalt noch Polizist, und auch kein Schriftsteller. Das wird diese Erzählung hinlänglich beweisen, falls sie überhaupt einmal gelesen wird. Ich springe ja ständig vor und zurück, bringe die zeitliche Abfolge durcheinander, verliere mich in unwichtigen Details und spare so vielleicht das Wesentliche aus.
    Wenn ich das,

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