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Brodecks Bericht (German Edition)

Brodecks Bericht (German Edition)

Titel: Brodecks Bericht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippe Claudel
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Stimme, und merkwürdigerweise verlor sich, wenn er sprach, dieses unkontrollierte Kinnzucken, das ihn bisweilen wie einen kaputten Apparat aussehen ließ. Kaum hatte er seine Rede beendet, führten Soldaten feierlich Alois Cathor auf den Platz. Hinter ihnen ging ein weiterer Soldat, er trug etwas Schweres, aber wir konnten zunächst nicht erkennen, was es war. Ein Hackklotz, bemerkten wir dann, ein etwa meterhoher Abschnitt eines Tannenstamms, den der Soldat schließlich auf dem Boden absetzte. Dann ging alles sehr schnell: Die Soldaten packten Cathor, zwangen ihn auf die Knie, legten seinen Kopf auf den Hackklotz. Dann kam ein vierter Soldat hinzu. Über der Brust und den Beinen trug er eine große, dunkle Lederschürze. In den Händen hielt er eine große Axt. Er blieb dicht neben Cathor stehen, hob die Axt hoch und ließ sie, bevor noch irgendjemand «huch» sagen konnte, auf den Nacken des Porzellanflickers niedersausen. Der glatt abgehackte Kopf rollte ein kleines Stück. Ein dicker Blutstrahl schoss aus dem Körper, der noch mehrere Sekunden lang, wie eine Gans, der man den Kopf abhackt, heftig zuckte und dann reglos liegenblieb. Vom Boden aus glotzte Cathor uns an. Sein Mund und seine Augen standen weit offen, als hätte er uns gerade erst etwas gefragt und unsere Antwort stünde noch aus.
    Das alles war so schnell gegangen. Die schreckliche Szene hatte uns alle erstarren lassen. Da war die Stimme des Hauptmanns wieder zu hören:
    «Sie sehen, was mit Leuten passiert, die uns betrügen wollen. Denkt daran, Einwohnerinnen und Einwohner, vergesst es nicht. Und damit Sie auch wirklich gründlich darüber nachdenken können, werden wir die Leiche dieses Fremden hier liegenlassen. Wer versucht, ihn zu beerdigen, den erwartet dieselbe Strafe. Erlauben Sie mir noch einen Rat: Säubern Sie Ihr Dorf! Warten Sie nicht, bis wir es tun. Säubern Sie das Dorf, solange noch Zeit ist. Und jetzt gehen Sie wieder nach Hause, lösen Sie die Versammlung auf. Guten Abend!»
    Sein Kinn zuckte nach links, als wollte er eine Fliege verscheuchen, er schlug die Gerte gegen seine Hosennaht, machte auf dem Absatz kehrt und ging davon, gefolgt von seinen Leutnants. Emélia presste sich zitternd an mich. Ich drückte sie, so fest ich konnte, an meine Brust. Immer wieder sagte sie, mit ganz leiser Stimme: «Das ist ein Albtraum, Brodeck, das ist doch ein Albtraum, nicht wahr?» Sie starrte auf Cathors kopflosen Körper, der über dem Holzklotz zusammengesunken war.
    «Komm mit», sagte ich und legte ihr meine Hand über die Augen.
    Später am Abend, als wir schon zu Bett gegangen waren, klopfte es an der Tür. Ich spürte, dass Emélia hochschrak. Ich wusste genau, dass sie nicht schlief. Ich küsste sie in den Nacken und ging die Treppe hinunter. Fédorine hatte den Besucher bereits hereingebeten. Es war Diodème, den sie gern hatte und in ihrer alten Sprache den Gelehrten nannte. Wir setzten uns beide an den Tisch. Fédorine brachte uns zwei Tassen und schenkte uns von einem Kräutertee ein, den sie aus Quendel, Minze, Melisse und Tannenknospen frisch zubereitet hatte.
    «Was hast du jetzt vor?», fragte Diodème.
    «Was soll das heißen, was ich jetzt vorhabe?»
    «Ich weiß nicht, aber du warst doch genauso da wie ich, du hast doch gesehen, was sie mit Cathor gemacht haben.»
    «Das habe ich gesehen.»
    «Und du hast gehört, was der Hauptmann gesagt hat.»
    «Dass es verboten ist, die Leiche wegzuschaffen? Das hat mich übrigens an eine alte griechische Geschichte erinnert, die Nösel uns in der Universität erzählt hat, die Geschichte von einer Prinzessin …»
    «Hör auf mit deinen griechischen Prinzessinnen! Das ist es nicht, worüber ich reden will.» Diodème schnitt mir das Wort ab. «Was glaubst du, was hat er damit gemeint: dass wir das Dorf säubern sollen?»
    «Diese Leute sind doch verrückt. Als ich in der Hauptstadt wohnte, habe ich gesehen, was sie angerichtet haben. Was meinst du, warum ich damals ins Dorf zurückgekommen bin?»
    «Mag sein, dass sie verrückt sind, aber trotzdem haben sie jetzt das Sagen, seit sie ihren Kaiser verjagt haben und bei uns einmarschiert sind.»
    «Sie werden weiterziehen, Diodème, sie werden wieder weggehen. Warum sollten sie deiner Meinung nach hierbleiben? Hier gibt es nichts, das ist das Ende der Welt. Sie wollten uns zeigen, dass sie die Stärkeren sind. Das ist ihnen gelungen. Sie werden noch ein paar Tage hierbleiben, und dann werden sie weiterziehen.»
    «Aber das, was der

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