Broken (German Edition)
Morddezernat in der Vergangenheit beraten, das wissen Sie, Monica.» Ich hatte Monica Roberts im letzten Jahr in einem Parkhaus kennengelernt. Sie hatte Rauser und mich auf Stöckelschuhen verfolgt. Und eingeholt.
«Haben Sie das Profil erstellt, mit dem die Polizei arbeitet?»
«Ich finde, die Polizei von Atlanta soll entscheiden, ob sie die Namen ihrer Berater publik macht. Oder nicht.»
«Das ist kein Nein», erwiderte sie.
Ich antwortete nicht. Okay, vielleicht hatte ich einen kleinen Hintergedanken dabei. Vorteilhafte Spekulationen von einer Frau wie Monica Roberts würden mir eine Menge Aufträge bescheren. Große Aufträge. Lukrative Aufträge. Nicht bloß so Kleinkram wie Kautionsflüchtlinge, Leumundsprüfungen und Gerichtszustellungen. Ich hatte letztes Jahr meinen größten Kunden verloren, eine piekfeine Anwaltskanzlei, die mir ein paar Tausend pro Monat gezahlt hatte. Ich gehöre zu den kleinen Leuten. Ein paar Tausend weniger haben gravierende Auswirkungen auf meine Lebensqualität. Ich spürte es schon.
«Was halten Sie davon, wenn wir uns mal treffen?», drängte Roberts. «Uns über alles unterhalten. Vor laufender Kamera. Den Alkoholismus, was beim FBI schiefgelaufen ist, Ihre Beratungstätigkeit in den Wunschknochen-Fällen und was das für Folgen für Sie hatte, außerdem das Northeast Georgia Crematorium, diese neuen Fälle, Ihre Beziehung zu Aaron Rauser, Ihr Leben als trockene Alkoholikerin. Oder noch besser – wie wär’s, wenn Sie zwei das Interview machen? Sie und der Lieutenant zusammen. Sie sind ein faszinierendes Paar.»
Der Gedanke, mich vor laufender Kamera von Monica Roberts interviewen zu lassen, löste Panik in mir aus. Wie kriegen Leute das hin? Einfach so im Fernsehen aufzutreten, meine ich. Ich bin eher zwanghaft bei den kleinen Dingen. Große Überraschung, was? Meine Zwanghaftigkeit. Hab ich wirklich so eine schlechte Haltung? Als würde ich mich hängen lassen. Meine Augen stehen zu weit auseinander. Meine Nase ist zu schmal und biegt sich an der Spitze nach oben. Und was ist mit meinen Sommersprossen? Bleiben Asiaten normalerweise nicht von Sommersprossen verschont? Meine Eltern hatten versprochen, dass die verschwinden würden, wenn ich groß bin. Und Rauser findet Medieninterviews wie sonntägliche Opernbesuche perfekt, um sich einen schönen Tag zu versauen. Ich wusste, er würde sich nie im Leben darauf einlassen. Ich hatte ihn geradezu anflehen müssen, bei dem Rolling-Stone -Interview mitzumachen. Er hatte schließlich eingewilligt, weil er mich liebte und weil er die Wahrheit ans Licht bringen wollte. Und wenn er ganz ehrlich war, weil er das Rolling-Stone -Magazin einfach toll fand.
«Lassen Sie mir etwas Bedenkzeit?» Ich wollte das Angebot nicht so ohne weiteres ablehnen. Noch nicht.
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D ie gute Nachricht ist: Stalker können nicht rund um die Uhr stalken. Deshalb hatte er Miki aus den Augen verloren. Er hatte einen Job. Er musste einkaufen. Er hatte andere Verpflichtungen. Vielleicht musste er mit seinem Hund Gassi gehen. Es war ein beruhigender Gedanke. Nicht beruhigend genug. Ich ließ mir von der Hotelrezeption ein Taxi rufen, statt den Neon zu nehmen. Und während der Fahrt blickte ich ständig durch die Heckscheibe, um zu sehen, ob ich verfolgt wurde.
Der Fahrer wartete, während ich in mein Büro lief, um Neils Sachen zusammenzusuchen, und brachte mich anschließend zum Krankenhaus. Neil hatte einen schlechten Morgen. Starke Schmerzen. Starke Schmerzmittel. Er dämmerte immer wieder weg, schien mich kaum wahrzunehmen. Ich schob sein Handy und sein iPad neben ihm unter die Bettdecke und seinen Laptop unters Kopfkissen. Am Ausgang winkte ich ein Taxi heran.
«Wohin?» Der Fahrer war dunkelhäutig. Inder vielleicht.
«City Hall East», antwortete ich und warf instinktiv einen Blick auf seinen Ausweis, der an der Sonnenblende klebte. Am Rückspiegel hing ein Stück Geschenkband mit einer schlaffen Schleife.
Der Fahrer beobachtete mich im Spiegel. Was er nicht sehen konnte, war meine Hand, die sich auf meine Glock legte. «Ich hab heute Geburtstag», sagte er zu mir. «Meine Tochter hat mir heute Morgen ein Lunchpaket gemacht und eine Schleife drumgebunden. Ich bin ein sentimentaler Typ. Haben Sie Kinder?»
«Nein.» Ich sah ihn mir genauer an. Er war zu klein und feingliedrig für den Mann, der einen Schuhabdruck Größe siebenundvierzig am Delgado-Tatort hinterlassen hatte. Ich entspannte mich ein wenig, nahm aber die
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