Broken (German Edition)
dergleichen waren für ihn einfach nie ein Hindernis.
Ich hatte in die Suchmaske alle Stichwörter eingegeben, die mir in den Sinn kamen: Mord, erweiterter Selbstmord, Doppelmord, Totschlag, Kind Zeuge von Gewalttat, Kind an Tatort eines Mordes, vernachlässigtes Kind, misshandeltes Kind, Morde an Weihnachten, Morde auf Partys . Ich grenzte die Suchanfragen zeitlich ein: 1980–1990. Die Menge an Informationen war überwältigend. Ich ging die Flut mit schwindender Hoffnung durch, bis einer der Artikel mich stocken ließ.
Erweiterter Selbstmord auf Kindergeburtstag
Mein Herzschlag beschleunigte sich.
Laut Meldung der Polizei von Atlanta wurden am Samstagnachmittag ein Mann und eine Frau in einem Einfamilienhaus auf der Moreland Avenue in Atlanta tot aufgefunden. Die Polizei geht von einem erweiterten Selbstmord aus.
Bei den beidenToten handelt es sich um Emma und Jackson Richards, ein geschiedenes Ehepaar, wie Evan Bell, der Pressesprecher der Polizei, bekannt gab.
Emma Richards hatte im April 1980 eine einstweilige Verfügung gegen ihren Exmann erwirkt, weil sie sich von ihm bedroht fühlte.
Emma Richards hatte zur Feier des achten Geburtstags ihres Sohnes Jesse Owen Gäste eingeladen. Nach Aussagen von Zeugen betrat ihr Exmann, Jackson Richards, um 13.45 Uhr das Haus, wo er erst Emma Richards und dann sich selbst erschoss.
Bei Eintreffen der Polizei befand sich der kleine Jesse Owen, der die grausame Tat mit ansehen musste, unter Aufsicht von Gästen und Nachbarn außerhalb des Hauses. Sechs Kinder und drei Erwachsene waren Zeugen des Vorfalls. Der Sohn des toten Paares wurde einer Mitarbeiterin des Jugendamtes übergeben. Die Polizei machte später die Großeltern ausfindig, die sich ihres Enkels annehmen werden.
Nach Aussage einer Zeugin herrschte eine fröhliche Partystimmung, und das Geburtstagskind war gerade dabei, die Geschenke auszupacken, als Jackson Richards ins Haus kam und eine Pistole zog. «Es ging alles so schnell», sagte die Zeugin, die Mutter eines achtjährigen Klassenkameraden von Jesse Owen Richards, unter Tränen. «Wir hatten keine Zeit zu reagieren. Er hat sie einfach erschossen. Dann hat er sich die Pistole an die Schläfe gedrückt.»
Ich las den Artikel ein zweites Mal. «Treffer», flüsterte ich. «Hey, Bevins, geben Sie bitte mal ein: dritter Mai 1980. Jackson und Emma Richards.»
Bevins tippte auf der Tastatur herum. «Ist im Archiv. Papierakte. Abgeschlossener Fall. Erweiterter Selbstmord. Ist noch nicht digitalisiert.»
«Kommen Sie da dran?»
«Klar. Glauben Sie, Sie haben unseren Mann?»
Ich spürte, wie mich von den Zehen aufwärts steigend ein Kribbeln durchlief. Alle Ermittler kriegen das, wenn sie wissen, dass sie ganz nah am Ziel sind: ein Prickeln, ein leicht erhöhter Puls, eine sekundenschnelle chemische Reaktion. «Das ist er», sagte ich.
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32
W ir setzten uns an den großen Tisch im Besprechungsraum und breiteten den Inhalt der Akte aus. Die Tatortfotos zeigten Emma Richards mit einer dunklen, nassen Pfütze unter dem Schädel. Sie lag nur ein kleines Stück entfernt von der Stelle, wo ihr geschiedener Mann, Jackson Richards, zusammengebrochen war. Er hatte sie erschossen, ihren Körper beiseitegeschoben und dann sich selbst erschossen. Ich studierte die Fotos. Auf dem Tisch lagen die Überreste einer weißen Geburtstagstorte, daneben Pappbecher und Pappteller, auf denen sich Lachen geschmolzener Eiscreme gebildet hatten. Neun Stühle. Vier davon passten zu dem Eichenfurniertisch, die übrigen fünf stammten wohl aus anderen Teilen des Hauses. An einem Ende des Tisches waren die Plastikgabeln, Pappteller, das Tischtuch und die Geschenke mit einer feinen Sprühschicht überzogen. Bestimmt hatte Emmas achtjähriger Sohn als Geburtstagskind an dem Kopfende gesessen, wo die Geschenke lagen. Er musste einiges vom Blut seiner Mutter abbekommen haben. Ich dachte an die Nacht in Mikis Haus, als Lang seine UV-Lampe eingeschaltet hatte und blaue Flecken auf Donald Kelly sichtbar wurden. Ich nahm ein weiteres Foto von Emma Richards, und auf einmal fiel bei mir der Groschen.
«Es ist Tränenflüssigkeit», sagte ich zu den anderen. «Und wahrscheinlich Sperma.» Rauser, Balaki, Williams und Bevins glotzten mich an, als wäre ich soeben einem Raumschiff entstiegen und hätte mich als Vulkanierin vorgestellt. «Diese rätselhafte Flüssigkeit», erklärte ich. «Tränen und Sperma.»
«Wollen Sie damit sagen, er flennt an den Tatorten und holt
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