Broken (German Edition)
Nikotinkaugummi aus der Tasche. «Nicht zu fassen, dass ich diesen Weicheimist esse.»
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7
I ch holte Neil bei sich zu Hause in Cabbagetown ab, einem ehemaligen Arbeiterviertel, das hip geworden war.
Ich hoffte, wir würden oben in Creeklaw County bei unseren Recherchen nicht allzu viel Aufmerksamkeit auf uns ziehen. Immerhin ist North Georgia tiefste Provinz, ich bin Chinesin und Neil so was wie ein Sixties-Surferfilm auf Beruhigungsmitteln. Aber die Hoffnung stirbt zuletzt. Es war das erste Mal, dass Neil mich begleitete. In der Vergangenheit hatte er nur selten Interesse an Dingen gezeigt, die nicht in seinen Arbeitsbereich fielen, wie auch immer der definiert war. Irgendwie schien er ihn ständig neu festzulegen. Ich kann nie genau abschätzen, was seine Neugier wecken wird. Offenbar steht er auf Zementmischung, Hühnerfutter und tote Leute. Und auf zu viele Frauen auf einmal.
Ich warf einen Blick zu ihm rüber, er saß auf dem Beifahrersitz und tippte etwas in sein Handy. Das war normal – flinke Daumen auf winzigen Tasten, flaumige Härchen auf schlanken Knöcheln, wie Maisfäden im hellen Sonnenlicht. Vielleicht twitterte er gerade, oder er klaute das Coca-Cola-Rezept, oder er ließ die Garagentüren in seiner Nachbarschaft auf- und zugehen. Bei Neil konnte man nie wissen, wozu ihn seine ständige Langeweile und sein irrwitzig überentwickeltes technologisches Können verführten.
Wir fuhren in meinem alten Impala mit heruntergelassenem Verdeck auf der I-85 aus der Stadt Richtung Norden, vorbei an Ausfahrten zu Büroparks, Fast-Food-Ketten, Möbel-Outlets und Einkaufszentren, ein Anblick, der schließlich von sanft hügeligen Feldern, Wiesen, Obstplantagen und ausgedehnten Wäldern abgelöst wurde.
Wir wechselten auf die I-985 und bogen schließlich auf die Route 129. Ich hielt an einer Tankstelle. Ich musste endlich in den sauren Apfel beißen und meine Mutter anrufen, und ich wusste, dass sie über die Hintergrundgeräusche meines Cabrios nicht begeistert wäre. Neil hob den Kopf, nahm kurz unsere Umgebung in Augenschein – Zapfsäulen, Minimarkt, Gestelle mit Propangasflaschen zum Mieten – und widmete sich wieder seinem Handy.
«Hi, Mom.»
«Keye? Was ist passiert?»
Ich stammelte: «Ich wollte bloß mal hallo sagen.» Neil sah mich an.
Ich hörte, wie bei meinen Eltern zu Hause die Fliegentür aufging. Ich hatte sie zigtausendmal gehört, diese Tür, die zur hinteren Veranda führte. Mein Vater hatte Sprühdosen an allen strategischen Stellen stehen, eine direkt draußen neben der Tür, die meine Mutter geöffnet hatte, und er konnte quietschende Scharniere im Handumdrehen zum Schweigen bringen – ein blitzschneller Clint Eastwood mit Ölkännchen und Schraubenzieher statt Revolver.
«Howard, deine Tochter ruft an, um hallo zu sagen. Kannst du dich erinnern, wann sie zuletzt angerufen hat, bloß um hallo zu sagen?» Ein undeutliches Knurren von meinem Vater. «Nein, kannst du nicht, weil deine Tochter niemals anruft, bloß um hallo zu sagen.» Die Scharniere quietschten erneut. Mutter war wieder reingegangen. «Also ehrlich, ich weiß nicht, warum ich überhaupt noch mit ihm spreche. Er ist in letzter Zeit so von sich eingenommen. Seit er eine weitere von diesen Metallskulpturen verkauft hat. An eine Kunstgalerie, Keye, ausgerechnet. Kannst du dir das vorstellen? Für viertausend Dollar! Jetzt redet er andauernd von solchen Sachen wie Zielpublikum und World Wide Web . Gott steh uns bei.» Mutters butterweicher Südstaatenakzent wurde stärker. Emily Street wurde immer dann südstaatlicher, wenn sie etwas darzustellen hatte – Empörung, Mut, Martyrium, Kränkung –, Mutter nutzte geschickt jede Gelegenheit. Sie war eine geborene Schauspielerin. «Ich hab deinen Vater auf die Veranda geschickt, damit er die Poblanos röstet. So kann er den Schweißbrenner mal für was Sinnvolles verwenden.»
«Mutter, er kriegt viertausend Mäuse das Stück für seine Skulpturen. Scheint also, als hätte er dafür schon eine prima Verwendung.»
«Mäuse? Also ehrlich, Keye. Wie redest du denn?» Sie stockte. «Du musst irgendwohin, wo’s gefährlich ist, nicht wahr? Deshalb rufst du an. Nein, erzähl’s mir nicht.»
«Es ist nichts Gefährliches.»
«Das sagst du immer. Hinter was für einem Gesindel bist du diesmal her?»
«Ich weiß es noch nicht.»
«Wir haben allen erzählt, dass du mit Aaron zur großen Nachbarschaftsgrillparty kommst.»
«Tut mir leid, Mom. Rauser
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