Broken (German Edition)
Sonntag in Georgia ungefähr so willkommen wie eine Schar Tauben auf der Startbahn eines Flughafens.
Ich parkte schließlich auf der Hauptstraße vor einer schmalen, zwischen Ladenfronten eingezwängten zweigeschossigen Kneipe mit voll besetzten Tischen auf einer Dachterrasse und einer Lichterkette aus winzigen weißen Lämpchen rings um das Geländer. Ich trat durch die offene Holztür ein und setzte mich auf einen Hocker an die leere Bar. Ein paar Tische waren besetzt. Einer der Gäste ließ sich einen Salat schmecken, der ganz gut aussah.
«Ich nehme auch so einen», sagte ich zu der Barkeeperin, einer lockenköpfigen Brünetten mit Sommersprossen auf der Nase und einem ungezwungenen Lächeln. «Und ein Mineralwasser mit Zitrone bitte.»
Was auf einem Teller bei mir ankam, waren nussiger Feldsalat und pfeffrige Rucolablätter mit gerösteten Pekannüssen, halbierten roten Trauben und einem luftig leichten Blauschimmeldressing, was mich veranlasste, meine Meinung über Kneipenessen noch einmal zu überdenken. Ich sah zu, wie die Barkeeperin Gläser füllte, und dachte an die wunderbare Flasche Jameson, die ich in die Spüle gekippt hatte.
Kellnerinnen liefen mit Tabletts die Treppe zur Dachterrasse rauf und runter. Als die Barkeeperin eine kurze Verschnaufpause hatte, rief ich sie zu mir und fragte, ob sie aus Big Knob sei. Sie bejahte. «Und, was machen Sie so, wenn Sie sich langweilen? Irgendwelche Skandale, Lug und Trug, Klatsch und Tratsch?»
Sie grinste mich an. «In Big Knob? Beziehungsdramen vielleicht. Was Spannenderes gibt’s hier nicht, abgesehen von betrunkenen Touristen.» Eine der Kellnerinnen knallte eine Bestellung auf die Theke und lud ein Tablett mit leeren Biergläsern ab. «Sind Sie Reporterin oder so?», fragte die Barkeeperin, während sie die Bestellung erledigte. Die Kellnerin blickte neugierig herüber.
« Ich? Nein, nein. Ich wollte mich bloß ein bisschen unterhalten», sagte ich.
Die Kellnerin und das Tablett verschwanden nach oben. Die Barkeeperin trocknete sich die Hände an einem weißen Handtuch ab. Sie roch nach der Limone, die sie gerade in einen Tequila gepresst hatte, und ich hatte eine sinnliche Erinnerung daran, wie Cuervo Gold durch zerhacktes Eis und Limettensaft läuft und auf dem Boden deines Frozen Margerita landet. So erinnern Alkoholiker sich ans Trinken, ermahnte ich mich, durch einen Weichzeichner. Wir möchten mit diesen Erinnerungen Walzer tanzen, ihnen schöne Dinge ins Ohr flüstern – nur einer der kleinen schmutzigen Tricks der Sucht. Aber obwohl ich mich immer anstrengen musste, der Versuchung zu widerstehen, war ich gern in Bars – das schummrige Licht und die schimmernden Flaschen, reihenweise glänzende, fleckenfreie Gläser, der Geruch, das Gemurmel.
«Erst hatten wir eine Dürre, dann ging es mit der Wirtschaft bergab», erzählte sie mir, und endlich konnte ich ihren Dialekt einordnen: südliche Appalachen, ein verwirrender, flotter Rhythmus mit einem leicht schottisch klingenden Einschlag. «Ich schätze also, die große Neuigkeit hier bei uns ist die, dass wir zum ersten Mal seit vier Jahren unsere Brötchen verdienen können, ohne weite Strecken zur Arbeit pendeln zu müssen.»
«Ich hab gehört, dass es hier in der Nähe ein großes Krematorium gibt.»
Sie nickte. «Soll ein Rieseneinzugsgebiet haben. Ich kenne mich mit so was nicht aus. In meiner Familie kommen die Toten in die Erde.»
Ich dachte an Brenda und Billy Wade und Huckaby. Sie alle hatten Urnen, die mit etwas gefüllt worden waren, wofür sie nicht bezahlt hatten.
Sie schob mir ein frisches Mineralwasser hin. «Haben Sie irgendwelche Geschichten über das Krematorium gehört?», fragte ich.
Sie lachte. «In der Highschool haben wir uns manchmal einen angetrunken und sind dann auf das Gelände geschlichen. Haben uns gegenseitig eine Heidenangst eingejagt. Daran hat sich bis heute auch nichts geändert. Ein Krematorium, das nur ein paar Meilen von einer Highschool entfernt liegt, sorgt zwangsläufig für Geschichten. Was sollen Jugendliche in einem Touristenort außerhalb der Saison auch großartig machen. Fast jedes Jahr zu Halloween wird ins Krematorium oder die Bestattungsunternehmen eingebrochen. Mein kleiner Bruder schwört bis heute, er hätte gesehen, wie der Besitzer des Krematoriums mitten in der Nacht Leichen auf der Schulter rausgetragen und auf einen Pick-up geschmissen hat.» Sie lachte leise und schüttelte den Kopf. «Also, wieso in Gottes Namen sollte einer so
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