Brombeersommer: Roman (German Edition)
Karl.
»Nein«, sagte Viola. »Willst du Brombeeren? Ich habe vorhin auf dem Weg zu dir Brombeeren gekauft.«
»Mehr hast du nicht im Haus?« Er lachte und stand auf, um die Brombeeren zu holen. »Nein, ich wollte dich eigentlich zum Mittagessen in ein Restaurant einladen. Vielleicht hätten wir irgendwo draußen sitzen können. Bei der Hitze. Es ist einfach zu heiß zum Arbeiten.«
Die Fenster der Mansarde standen weit offen, es regte sich kein Lüftchen.
Viola öffnete den Mund, und Karl legte eine Brombeere auf ihre Zunge. Eine andere legte er in ihren Bauchnabel und sah zu, wie Viola, die Arme unter dem Kopf verschränkt, die Beere am Gaumen zerdrückte.
»Zeig deine Zunge«, sagte er. Die Zunge war dunkelrot vom Brombeersaft.
Viola lag auf seinem Bett, als läge sie auf einem Floß, das auf blauem Wasser treibt, so entspannt war sie, so sehr ruhte sie, dass Karl sie nicht einmal zu berühren wagte.
»Ich werde nie an ein Ende damit kommen, dich zu betrachten«, sagte er.
»Seh ich so aus, wie du’s dir vorgestellt hast?«, fragte Viola.
»Ja«, antwortete Karl, »und viel schöner.« Da musste er sie wieder berühren, denn sagen konnte er nicht, was so entrückend schön an ihr war.
»Leg dich auf den Bauch«, flüsterte er, »ich habe deinen Rücken noch nicht angesehen.« Er küsste den rührend zarten Halswirbel, den er auf der Fahrt über den Gotthard an ihr entdeckt hatte. Ihr Rücken war schmal und glatt, und es sah aus, als trüge sie Strümpfe, weil die Storchenbeine so sonnengebräunt waren.
Wie hatten seine Handflächen so lange ohne ihre Haut leben können? Unter seinen Händen spannte sich ihr Körper, er spürte die Muskeln unter ihrer Haut. Es war ganz heiß, ganz still.
Karl drehte Viola wieder auf den Rücken, legte sein Ohr auf ihre Brust, spürte ihren Atem, wie er den Bauchraum füllte und dann die Lungen. Ihre Haut war verschmiert vom Brombeersaft. Sie schaute an sich herunter und sagte: »Das kommt davon, wenn du die Brombeeren nicht aus meinem Nabel pflückst!« Er leckte ihren Bauch und glitt dann wieder in sie hinein, viel selbstverständlicher und ruhiger als beim ersten Mal, als alles sofort und gleichzeitig sein musste und noch und noch. Aber nun war es ganz gewiss, dass alles so sein musste, weil es seit Jahren so gedacht war. Violas Herz pochte gegen seine Brust. Sie lagen ineinander. Auch sein Geschlecht fühlte den leichten, schnellen Schlag ihres Pulses.
»Beweg dich nicht«, flüsterte er. So lagen sie. Die Pendeluhr im anderen Zimmer schlug zwei. Schlug drei. Siedösten miteinander ein. Da schlug es vier und fünf. Und nun kam die Zeit zurück, die alles begrenzte.
Viola zog sich an und sagte: »Ich liebe dich. Weißt du das eigentlich? Seit ich ein kleines Mädchen war, liebe ich dich.«
»Und Theo?«, fragte Karl.
»Den liebe ich auch. Auf eine andere Weise.«
»Du liebst uns beide?«
»Ja«, sagte Viola und weinte.
»Was ist wichtiger«, fragte Karl. »Die Freundschaft oder die Liebe?«
»Dumme Frage. Beides. Die Liebe«, antwortete Viola.
Karl lag auf dem Bett, noch immer nackt. Er dachte nach. »Ich liebe dich«, sagte er dann. »Ich liebe dich sehr.« Viola saß angezogen auf dem Bettrand. »Und Theo liebe ich auch«, fuhr er fort. »Er ist der Freund, den ich mein ganzes Leben lang brauchen werde.«
Sie schwiegen.
»Was willst du damit sagen?«, fragte Viola endlich.
Karl zog sie an sich und küsste sie voller Zärtlichkeit. »Dass ich euch beide liebe, dich und Theo. So wie du uns beide liebst.«
»Wie soll ich das verstehen?«
»Die Freundschaft«, sagte Karl, »ist mir wichtiger. Damit ich euch beide lieben kann. Wenn ich nur dich liebe, verliere ich ihn.«
Viola machte sich heftig von ihm los, sagte: »Ich muss nach Hause.« Sie stand auf, nahm ihre Tasche. »Es ist besser, du kommst eine Weile nicht mehr bei uns vorbei«, sagte sie und ging.
Viola weinte vor Zorn. Sie war ganz allein mit ihrer Wut und Enttäuschung. Er hat recht, dachte sie böse. Aber er entscheidet sich nicht für mich. Er hat sich auch nicht wirklich für Edith entschieden.
»Würdest du Theo denn verlassen?«, fragte Karl, als sie am nächsten Abend überraschend bei ihm vorbeikam. »Obwohl du ihn liebst?«
»Vielleicht.«
»Vielleicht, vielleicht. Vielleicht heißt, du willst uns beide lieben. Das geht nur heimlich. Theo ist nicht der Mann, der seine Frau auf Dauer teilt, das weißt du.«
»Ich hasse Heimlichkeiten. Das passt nicht zu mir.«
»Deshalb
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