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Brombeersommer: Roman (German Edition)

Brombeersommer: Roman (German Edition)

Titel: Brombeersommer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dörthe Binkert
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Alltag einzufinden, nicht nur in den eigenen, auch in den gemeinsamen. Bis die alten Regeln wieder selbstverständlich waren.
    Karl sah die Post durch. Es war ein Brief von Inge aus Hannover darunter. Jan, schrieb sie, sei aus der Klinik entlassen worden. Man wisse noch nicht, ob die Besserung von Dauer sei, aber Jan und Annegret wollten es noch einmal miteinander versuchen. Alle würden sich freuen, wenn er bald wieder zu Besuch käme.
    Karl las den Brief nicht zu Ende. Er legte sich ins Bett und fand es sonderbar, dass im Nebenzimmer niemand schlief. Er stellte das Radio an und stellte es wieder ab. Im Tessin hatten sie kein Radio gebraucht. Da waren sie ja zusammengewesen. Er stand auf und nahm eine Kopfschmerztablette. Zu essen war nichts im Haus außer einer großen Packung Zwieback. Notration. Seit Edith ihn verlassen hatte, hatte er sich nicht mehr so elend einsam gefühlt.
    Karl machte Licht und setzte sich ins Wohnzimmer. Er könnte das kommende Wochenende mit Simon verbringen. Wenn der da war. Eine Weile beschäftigte er sich mit dem Gedanken, wie es wäre, eine neue Frau kennenzulernen. Zum Beispiel konnte er das Fräulein in der Parfümerie Holte ansprechen. Oder Frau Schulte im Eckladen, die flirtete ganz unverhohlen mit ihm. Vermutlich würde auch Lynn, die Sängerin vom Stadttheater, die bei der Faschingsparty in seiner Badewanne geschlafen hatte, die Einladung zu einem Essen annehmen. Und Simon hatte ihm schon lange angeboten, ihn zu verkuppeln, »wenn du willst, mit drei Mädchen gleichzeitig«. Simon kannte sehr viele Mädchen. Was Viola dazu sagen würde? »Vor der Liebe kann man nicht davonlaufen, das bildet man sich nur ein«, hatte sie mal behauptet, »man weiß nur nicht, wie es ausgeht, wenn man sich auf sie einlässt.«
    Vor dem Krieg hatte Viola ihn mal gefragt, als er nach Hause kam und sie mit Marie am Tisch Schulaufgaben machte: »Kommst du am Sonntag mit uns schwimmen, mit Marie und mir?«   – »Nein«, hatte er geantwortet und den Kopf geschüttelt, »Theo und ich wollen schon eine Radtour machen.« Sie war rot geworden. »Aber du kannst doch so gut schwimmen. Du könntest uns retten, wenn wir ertrinken.« Da hatte er sie verwundert angesehen.
    Karl lag die ganze Nacht wach. Irgendwann musste er den Schlafanzug wechseln, weil er immer wieder kalteSchweißausbrüche hatte. Als es endlich hell wurde, zog er sich an, aß einen Zwieback und ging zu Fuß ins Atelier. Er war viel zu früh dort und machte noch eine Runde durch den angrenzenden Wald, weil er hoffte, die frische Luft und das Laufen würden ihm guttun. Aber er fühlte sich schlapp, und die Vögel pfiffen seine Sehnsucht nach Viola von den Bäumen.
    »Haben Sie es sich überlegt wegen einer festen Anstellung?«, fragte ihn sein Chef später.
    »Ich habe noch gar nicht darüber nachgedacht«, antwortete Karl.
    Sie gingen die anstehenden Aufträge durch. Vieles davon war eilig. Karl würde sich für Wochen in Arbeit vergraben können, das konnte ihn vielleicht von dem fixen Gedanken ablenken, Viola augenblicklich sehen zu müssen. Er hatte Schmerzen im Rücken. Das war die lange Fahrerei im Käfer. Er lachte leise, als er daran dachte, wie stolz der Dicke auf sein Auto war.
    Karl hatte eine Arbeit für die Gutehoffnungshütte vor sich liegen, aber er war fahrig und unkonzentriert und brachte nichts aufs Papier. Edith hatte ihn nie so durcheinandergebracht, nicht so. Keine Frau auf der Welt. Unsinn, dachte er, was kenne ich schon von der Welt. In meinem ganzen Leben, sagte er sich. Ja, so stimmte es. In meinem ganzen Leben habe ich mich nicht so nach einer Frau gesehnt.
    Am Mittag gab er auf. Er zog den weißen Arbeitskittel aus, sagte, ihm sei nicht gut, verließ das Atelier und rannte mehr, als dass er ging, in Richtung Theater. Bei der ersten Telefonzelle, die er sah, machte er Halt.
    »Ja«, sagte Viola. Ihre Freundin, die Sopranistin Sibylle, erzählte seit einer halben Stunde ausführlich von ihren Ferien.
    »Ja«, wiederholte Viola. Sie sagte es nicht zu Sibylle, sondern in die Muschel des schwarzen Telefonhörers, den sie beim ersten Klingeln von der Gabel genommen hatte. »Ja, ist gut. Ich warte draußen vor dem Theater.« Sie wandte sich wieder Sibylle zu.
    »Ist was?«, fragte Sibylle, »du siehst so komisch aus.«
    »Nein«, erwiderte Viola, »aber ich muss schnell weg.«
    »Alles in Ordnung? Ist was passiert?«
    »Nein, nein«, sagte Viola, »alles in Ordnung.«

52
     
    »Es war nicht nur der Lago Maggiore«, sagte

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