Brombeersommer: Roman (German Edition)
einem heftigen Gewitter. Blitze irrlichterten geisterhaft gleißend über den See, in trockenen Schlägen folgte der Donner. In einem ungeheuren Wolkenbruch ging das Wasser nieder, das sich in schwülen Tagen und Nächten in der Atmosphäre gesammelt hatte. Der Regen dröhnte und rauschte. Sie waren alle drei aufgewacht und lauschten.
Auf einmal fielen Karl Tropfen auf den Kopf, einer, zwei. Es tröpfelte auf sein Bett. Das Wasser hatte tatsächlich über eine lecke Stelle im Dach in seine Kammer gefunden. Da schob er, so gut es ging, das Bett zur Seite, holte einenTopf und stellte ihn unter das Leck. Öffnete vorsichtig die Tür zum Zimmer nebenan, stand im Dunkeln, lachte leise und sagte: »Es regnet mir auf den Kopf.«
»Komm schon her«, sagte Theo, »kriech hier mit unter.«
Ein Blitz erleuchtete das Zimmer. Viola streckte die Hand nach ihm aus, da legte sich Karl zu den beiden. Sie zogen das Laken über sich. Karls Fuß stieß an Theos Fuß – sie waren ja gleich groß wie damals schon, als sie sich, halbe Kinder noch, halb schon erwachsen, balgten und liebevoll rauften –, und alle Hände fanden jetzt Viola. Viola, die ihre Angst vor dem Gewitter vergaß und leise und dunkel und gurrend lachte. Nach einer Weile wurde es ganz still, ein müdes Seufzen verklang im nächtlich dunklen Zimmer. Alle drei schliefen ein, das Gewitter zog vorbei, und der Regen tröpfelte sich langsam aus.
Am anderen Morgen brannte die Sonne vom sauber gefegten Himmel. Es sah aus, als hätte jemand Staub gewischt und jeden Stein und jedes Blatt einzeln nachpoliert. Karl erwachte in seinem Bett, Laken und Kissen waren trocken. Er reckte und streckte sich und blieb liegen, wollte weiterdösen und träumen und gar nicht aufstehen. Neben ihm auf dem Boden stand ein Kochtopf, halbvoll mit Wasser, schräg das Bett, in dem er lag. Welch ein Gewitter war das gewesen! Er lächelte. Heute wurde gefrühstückt, was im Haus war.
»Heute wird was unternommen«, sagte Viola und streckte das Kinn in die Luft. »Wisst ihr eigentlich, was es bedeutet, dass ich mir einen Bikini gekauft habe? Kein Mensch traut sich damit ins Strandbad, ohne vor Schamrot zu werden. Aber einmal möchte ich ihn anziehen. Heute gehen wir an den See!«
»Aber du kannst den Bikini doch auch hier in unserem Privatbad anziehen«, maulte Theo, der keine Lust hatte, die vielen Kurven hinunter zum See zu fahren.
»Das ist doch unter Ausschluss der Öffentlichkeit! Das gilt nicht. Ich will den Bikini im See taufen.«
Karl sagte nichts, aber es zog ihm etwas durch die Brust, was er nicht deuten konnte, ein Schmerz, der fein und schneidend begann und langsam anschwoll, als sammle sich das Blut in seiner Brust, wie es sich sonst in seinem Kopf anstaute, wenn er Kopfschmerzen bekam.
»Wir könnten Porto Ronco bei der Gelegenheit ansehen«, meinte Viola, »und noch nach Brissago weiterfahren. Eigentlich wollten wir ja nach Italien, auch wenn wir das ganz vergessen haben. In Brissago ist die Grenze, wir könnten wenigstens nach Cannobio fahren. Einmal in Italien Eis essen!«
Aber Theo, der die Verfügungsgewalt über Auto und Autoschlüssel hatte, weigerte sich. »Es gibt einen Treppenweg von Ronco nach Porto Ronco, den werden wir Stufe um Stufe hinuntersteigen und nach dem Baden wieder hinauf. Ist das nicht eine gute Idee?«
»Wie viele Stufen sind das denn?«, fragte Viola arglos.
»So an die achthundert«, überschlug Theo und hoffte damit, den Tag in seinem Sinn gerettet zu haben.
»Also gut«, sagte Viola. »Machen wir. Aber nehmt die Sonnenhüte mit. Und Italien? Wann fahren wir nach Italien?«
»Ein andermal«, sagte Theo.
Keine Treppenstufe war wie die andere, und achthundert Stufen waren eine Menge. Sie ächzten und jammerten schon beim Abstieg und schworen sich, auf dem Rückweg das Postauto zu nehmen.
Viola führte der Welt ihren Bikini vor, und tatsächlich starrten alle ihr nach. Das Höschen ging bis zum Bauchnabel, aber ein bisschen nackte Haut sah man doch, und Viola stürzte sich bald in den See. Der war wärmer als das Badewasser aus dem Bach oben am Berg. Karl machte ein Foto, als Viola den Fluten wieder entstieg, Theo hielt ihr das Handtuch entgegen, als sei sie der Stier und er der Torero. Dabei hatte sie eher etwas von einer Aphrodite, fand Karl, wie sie da mit schimmernder Haut dem Wasser entstieg.
Später schwamm Karl weit in den See hinaus. Er machte lange, gleichmäßige Züge, und er hatte das Gefühl, dass es gut wäre, weit und
Weitere Kostenlose Bücher