Brombeersommer: Roman (German Edition)
immer weiter in das Blau des Sees hinauszuschwimmen und nie mehr zurückzukehren. Nichts bleibt, wie es ist. Nur in dieser Sekunde war es noch da, das köstliche, vollkommen schwebende Gleichgewicht von Freundschaft und Liebe.
Schon weit vom Seeufer entfernt, sah Karl Viola und Theo, winzige Figürchen, die am See saßen und nun nicht einmal mehr sein Winken in den blauen Wellen würden ausmachen können.
Während er mit geschmeidigen Zügen in das Wasser eintauchte, fragte er sich, was es bewirkt hatte, dass die Zeit nicht mehr stillstand, sondern wieder sichtbar und spürbar verging.
Es war Viola, die den Bann gebrochen hatte. Sie war esgewesen, die zum See hinunterwollte, in die Welt zurück, in der die anderen lebten. Sie waren wieder da, wo Liebe und Freundschaft zwei verschiedene Dinge sind.
Karl bemerkte, wie er mehr und mehr ermüdete. Wenn er weiter hinausschwamm, käme er nicht mehr zurück. Da machte sein Körper kehrt und strebte wieder dem Ufer zu. Karl bemerkte es mit Erstaunen.
»Da bist du ja endlich wieder«, sagte Theo vorwurfsvoll. »Ich habe schon gedacht, du empfiehlst dich einfach so. Mensch, wir haben uns Sorgen gemacht!«
Viola schwieg und hatte ihr undurchdringliches Gesicht aufgesetzt.
Karl hatte blaue Lippen und zitterte vor Kälte.
Theo hielt ihm das Handtuch hin. »Sieh zu, dass du in deine Klamotten kommst«, sagte er ernst.
50
Von nun an zählten sie die Ferientage, die ihnen noch blieben. Sie teilten die Zeit wieder ein und sahen auf die Uhr. Mit dem Schiff fuhren sie auf die Inseln von Brissago und sahen sich die Pflanzen und Blumen an, die dort wuchsen. Die meisten hatten sie noch nie gesehen. Mit dem Auto machten sie einen Ausflug nach Brissago, wo Karl und Theo sich ein paar von den krummen Brissago-Zigarren kauften, für die Abende nach der Arbeit, die auf einmal wieder in absehbare Nähe gerückt waren. Und sie fuhren über die Grenze nach Canobbio, damit Viola auch wirklich in Italien gewesen war. Sie aßen Eis und planten, während der See leise ans Ufer platschte, eine Wanderung auf den Pizzo Leone, auf die sie dann aber doch verzichteten. Sie begnügten sich damit, in Locarno zum Kloster Madonna del Sasso hinaufzusteigen.
»Mein Gott, welch ein Ort!«, sagte Viola, »ich glaube, ich trete in dieses Kloster ein.«
»Das ist ein Männerkloster«, antwortete Theo. »Wer von uns beiden soll denn eintreten? Karl oder ich?«
Der Monte Verità in Ascona war leicht zu ersteigen, er war nicht hoch. Karl wollte unbedingt im Park spazieren gehen, wo zu Beginn des Jahrhunderts weltentrückte Fantasten, Verkünder eines gesunden Lebens, Freigeister und Anarchisten, Künstler und Literaten gelebt hatten.
Aber da hatten sie schon angefangen zu packen, Signore Giovanni vom Leck im Dach erzählt, ihm wenigstens einen lächerlichen Betrag für die Tage in seinem Haus aufgedrängt und den festen Vorsatz gefasst, am anderen Tag bis zur Nordseite der Alpen zu fahren. Die Ferien waren vorbei, obwohl sie die Heimreise noch nicht einmal angetreten hatten.
Theo hatte plötzlich genug vom Plumpsklo. Viola kaufte einige Packungen Spaghetti, mit denen sie zu Hause ihre Freundinnen beschenken wollte. Karl dachte an das überraschende Angebot, das sein Chef ihm vor der Abreise gemacht hatte. Er hatte ihn gefragt, ob er sich fest anstellen lassen wolle.
»Das machst du doch, oder?«, fragte Viola, als Karl die Möglichkeit erwähnte, an die er die ganzen Ferien über nicht gedacht hatte.
»Ich weiß nicht. Ich muss noch darüber nachdenken.«
»Was gibt es denn da nachzudenken?«, sagte Viola heftig. »Man kann auch zu viel Freiheit wollen.«
»Was ist denn mit dir los?«, fragte Theo und sah sie ebenso entgeistert an wie Karl. »Hast du einen Sonnenstich?«
Viola schwieg trotzig.
Am letzten Morgen fand Viola in ihrem Schuh einen Skorpion und erschrak fürchterlich. Theo und Karl mussten das ganze Haus nach Skorpionen absuchen.
»Wir fahren doch jetzt! Das macht doch gar keinen Sinn«, ärgerte sich Theo.
Karl fand bei der Suche nach Skorpionen einige fette Spinnen, auf die zuvor niemand geachtet hatte, meldete sie aber nicht, sondern traf mit ihnen die Übereinkunft,dass sie still in ihren Netzen sitzen blieben, bis Viola aus dem Haus war.
»Sei froh, dass wir keine Schlangen gesehen haben«, sagte Karl, der das Bedürfnis hatte, sich an Viola zu rächen, ohne genau zu wissen, wofür.
»Was, Schlangen gibt es hier auch?«, rief sie prompt.
»Wusstest du das nicht?«,
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