Bronzeschatten
ersten Tag ging ich, während Helena und der Konsul sicher im Schutz ihrer Sklaven zu Mittag speisten, wieder in die Stallungen. Bryon machte kein Geheimnis daraus: »Er ist schon weg.«
Ein Blick auf den Luxusheuboden bestätigte das: Der Unterschlupf des Freigelassenen war unberührt. Nur sein Mantel war vom Haken verschwunden.
»Wo wollte er hin?«
»Keine Ahnung. Aber er kommt zurück. Was kann er auch sonst tun?«
»Etwas Gefährliches!« rief ich, heftiger als beabsichtigt.
Diese zweite Nacht verbrachte ich auf dem Balkon vor Helenas Schlafzimmer. Ich hatte sie nicht vorgewarnt, aber eine Zofe brachte mir ein Kissen; Helena wußte also Bescheid.
Wir frühstückten zusammen auf dem Balkon, wie Verwandte in der Sommerfrische; sehr merkwürdig. Dann nahm ich mir noch einmal die Ställe vor.
Diesmal kam ein besorgter Bryon mir schon auf dem Hof entgegen. »Falco, er ist die ganze Nacht nicht heimgekommen; das ist ungewöhnlich.«
Ich fluchte. »Dann ist er abgehauen!«
Der Trainer schüttelte den Kopf. »Der doch nicht. Hören Sie, ich bin doch nicht blöd. Erst ist er hier, aber niemand soll es wissen. Dann kommen Sie … und jetzt fühlt er sich wohl in die Enge getrieben.«
»Sie haben’s erfaßt. Bryon, ich muß endlich die Wahrheit wissen!«
»Dann warten Sie’s ab. Der kommt zurück.«
»Hat er Ihnen Geld gegeben, damit Sie das sagen? Decken Sie ihn etwa?«
»Warum sollte ich? Ich bin hier geboren und habe geglaubt, ich gehöre zur Familie. Mein Fehler! Über Nacht hat man mich verkauft. Dann haben sie mich zurückgeholt, doch bloß wegen der Pferde. Ein zweifacher Schock, und beide Male hat man mir kein Wort gesagt. Oh, ich bin immer gut mit ihm ausgekommen. Aber so wie früher wird es nie wieder. Glauben Sie mir: Der taucht schon wieder auf.«
»Sie meinen, weil er auf den Alten angewiesen ist?«
Bryon lächelte grimmig: »Wohl eher umgekehrt!«
Mehr war nicht aus ihm herauszubekommen.
Er kam tatsächlich zurück. Und ich fand ihn. Doch bis dahin geschah noch eine ganze Menge. An diesem Morgen wollte Helena Justina ein wenig Luft schnappen und begleitete den Gärtnerburschen, der täglich den Blumenkranz an der Herme am Grenzsaum des Anwesens wechselte. Natürlich begleitete ich sie. Plötzlich tauchten zwei Mietesel auf und mit ihnen Petronius Longus, Arria Silvia und ein Korb, der bis oben hin vollgestopft war mit Picknicksachen: ein generalstabsmäßig vorbereitetes Rendezvous.
Petronius hatte schon seit unserer Ankunft auf eine Gelegenheit gewartet, um mit mir eine Kneipentour machen zu können. Das war seine Chance! Wahrscheinlich bildete er sich ein, so ein richtiger Ausflug in der würzigen Bergluft würde mir guttun.
Ich war ärgerlich. »Wie stellst du dir das vor? Ich bin hinter einem Mörder her, der jeden Augenblick auftauchen kann. Da werde ich doch nicht im Gebirge rumkraxeln …«
Helena schnitt mir das Wort ab. »Sei doch nicht so muffig! Ich bin dabei, also mußt du auch mitkommen.« Bevor ich noch was sagen konnte, hatte sie den Jungen heimgeschickt, mich mit gutem Zureden auf einen Esel verfrachtet und war selbst hinter mir aufgestiegen. Sie hielt sich an meinem Gürtel fest; ich mich an meinem Zorn. Mit Mühe.
Es war ein windstiller, dunstiger Morgen mit jenem fahlen, glasigen Himmel, der in der Campania meist einen drückend heißen Tag ankündigt. Petronius übernahm die Führung. Mein Esel war der störrischere von beiden, was sehr zur Erheiterung beitrug.
Wir ritten erst durch fruchtbares, schwarzglänzendes Ackerland und dann in die fruchtbaren Weinberge, die damals noch fast bis zum Gipfel des Vesuvius reichten und Bacchus zu seinem natürlichen Schutzpatron machten. Als unser Pfad sich höher und immer höher schlängelte und die Luft spürbar dünner wurde, begleitete uns schließlich nur noch der zähe, genügsame Besenginster. Zu der Zeit war der Vesuvius viel majestätischer als heute und gut doppelt so groß – ein behäbiger, üppig bebauter Berg.
Petronius Longus kehrte bei einem Winzer am Wegrand ein. Mir stand der Sinn jetzt nicht nach Trinken. Ich hatte immer schon einmal auf den Paß hinauf gewollt, wo Spartakus, der Führer des Sklavenaufstandes, einer Konsularmee getrotzt hatte und beinahe die Regierung gestürzt hätte; ich war genau in der richtigen Stimmung für einen kleinen Staatsstreich.
Helena kam mit mir.
Wir ritten so weit, wie das Gelände für den Esel gängig war; bis weit in den Niederwald hinauf, wo, wie ich gehört
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