Bronzeschatten
hatten. Da ich nichts weiter zu tun hatte, setzte ich mich an sein Bett und versuchte, seine Wünsche zu erraten. So war zumindest rasch jemand zur Hand, wenn er Durst hatte oder sein Kissen aufgeschüttelt haben wollte. Ich leistete ihm Gesellschaft, las ihm vor; ja, einmal half ich dem armen Alten sogar auf seinen Nachtstuhl. Die Spannbreite meines Berufs überrascht mich immer wieder: vorgestern ein Schiffsuntergang, gestern ein saftiges Handgemenge, heute Krankenpfleger bei einem siechen Konsul.
»Das machen Sie recht gut«, lobte Gordianus, der eben hereinschaute.
»Ich komme mir schon vor wie eine treusorgende Ehefrau. Demnächst werde ich mich über mein knappes Nadelgeld beschweren, und der Konsul wird meine Mutter als alte Hexe beschimpfen, die sich überall einmischt.«
»Was sagt er denn da grade?«
»Ah … er will sein Testament ändern.«
Der Konsul lallte aufgeregt: »Helena … Gnaeus!«
Ich fragte: »Sie wollen Ihre Güter Helena vermachen, damit die sie an Ihren Sohn weitergeben kann?« Er sank zufrieden in die Kissen zurück. Ich verschränkte die Arme und ließ ihn spüren, daß ich unbeeindruckt war. »Sie haben Glück, daß Sie der Dame trauen können! Die meisten würden Ihr Geld nehmen und mit dem nächstbesten Muskelmann auf und davon gehen.«
Wieder sabbelte er fieberhaft drauflos. Ich überließ es Gordianus, ihn zu beruhigen. Jeder, der versuchte, Helena zu benutzen, um Pertinax zu helfen, hatte sich meine Sympathie verscherzt.
Nachdem Gordianus gegangen war, gifteten Marcellus und ich uns stumm an. Ich sagte in leichtem Plauderton: »Helena Justina wird Ihren Sohn niemals wieder heiraten!«
Caprenius Marcellus schaute erbittert. Der Ex-Konsul hatte endlich erkannt, wer der hergelaufene Halunke aus der Gosse war, der seiner Schwiegertochter den Kopf verdreht hatte.
Wir warteten vier Tage. Dann schickte mir Bassus eine vertrauliche Botschaft aus Positanum, in der er mir mitteilte, daß nun genügend Korntransporter versammelt seien, um den nächsten Schritt meines Plans in Angriff zu nehmen. Daraufhin ging ich nach Oplontis und führte ein freundliches Gespräch mit dem Vater von Ollias Fischerjungen. Als ich an diesem Abend die Thunfischboote mit ihren schaukelnden Laternen am Bug hinaussegeln sah, wußte ich, daß sich überall, wo sie ihre Netze auswarfen, die Nachricht verbreiten würde: Aulus Curtius Gordianus, ein würdiger Priester (wir alle wissen über Priester Bescheid!), dem sein Bruder eine Villa auf den Klippen von Surrentum vermacht hat, feiert diese Erbschaft heute abend mit einem intimen Fest für seine Freunde. Angeblich war diese Veranstaltung ein streng gehütetes Geheimnis; man munkelte von einer Tänzerin mit unerhörten Maßen, die eigens aus Valentia geholt werde – und der Weinvorrat sei schier unerschöpflich.
Die Tänzerin mit den aufregenden Maßen blieb leider ein leeres Versprechen, doch ansonsten warf Gordianus sich mit einem Enthusiasmus in dieses Unternehmen, der Anlaß zu Spekulationen über die Abenteuer seiner Jugend bot. Es war eine sternklare Nacht, aber er ließ trotzdem riesige Feuer anzünden, damit etwaige ungeladene Gäste leichter den Weg zu ihm finden würden. Und als die grölenden Kapitäne der misenischen Flotte samt ihrem Kommandanten auf dem Anwesen einfielen, seufzte der gute Gordianus nur wie ein Mann, der keinen Ärger will, und ließ sie ungehindert den Weg in seinen Weinkeller finden.
Es gab gerade so viel zu essen, daß die Leute sich einreden konnten, mit einer solchen Grundlage würden sie mehr vertragen als gewöhnlich. Dazu prickelnde Weine und schwere, junge Lagen und solche, die Gordianus’ Bruder bestimmt schon fünfzehn Jahre gelagert hatte. Jeder konnte sich frei nach Lust und Laune bedienen … Einem Gastgeber, der so großzügig war, waren die sonst so gewitzten Seeleute nicht gewachsen: Sie gaben sich gegenseitig gute Ratschläge, wie man am besten einen Kater vermeidet – und dann betrank sich ausnahmsweise auch die Marine einmal bis zur Bewußtlosigkeit.
Eine Stunde vor Tagesanbruch kehrte ich dem entwürdigenden Schauspiel den Rücken, erklomm den Pfad hinterm Haus und richtete den Blick nordwärts übers Meer. Als ich die Augen zusammenkniff, war mir, als könne ich die gewaltigen, geisterhaften Schatten ausmachen, die wie wandelnde Windmühlen in schwerfälligem Zickzackkurs jenseits von Capreae vor dem Wind halsten. Ich wußte, daß sie dort draußen waren, und konnte jetzt beruhigt aufatmen: Ein
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