Brook, Meljean - Die Eiserne See
aufragen, aber an sie ist problemlos wieder heranzukommen.«
»Ach!« Sie warf einen Blick zu Archimedes – der ihr auf den Mund starrte. »Ich glaube, dann hat Rabat wohl nichts zu befürchten. Richtig, Wolfram?«
Er brauchte einen Moment. Er hob den Blick von ihren Lippen zu ihren Augen und kippte dann wie ein Verdurstender den letzten Rest seines Weines hinunter.
»Glaube ich auch«, sagte er.
Guillouet hatte seine Bücher gewissenhaft geführt; darum stellten Yasmeens abendliche Nachträge keine solche Schufterei dar, wie sie erwartet hatte. Auf der anderen Seite des Schreibtisches ergänzte auch Archimedes seine Aufzeichnungen: eine primitive Karte von Brindisi, eine Liste ihrer Fundstücke sowie die Fundstellen der Stücke, die sie vorerst dort gelassen hatten. Den Uhrwerkmann zurückzulassen, war ihm sichtlich schwergefallen – aber er hatte eingesehen, dass man einen solch wertvollen Gegenstand besser nicht auf ein Schiff unter neuem Kommando brachte, das sich auf einer Expedition befand, während der eine Meuterei gedroht hatte und Blut vergossen worden war.
Selbst wenn sie es gewesen waren, die dieses Blut vergossen hatten.
»Du passt perfekt zu mir«, sagte sie.
Er erstarrte, dann hob er langsam den Kopf. Sein Blick strich zärtlich über ihr Gesicht, die Smaragdaugen waren dunkel und ernst.
Sie lehnte sich in ihren Stuhl zurück. »Aber ich glaube, für dich ist das nicht genug.«
»Ist es.« Seine Stimme war rau.
»Nein. Nicht für Archimedes Fox, der sich in jede Gefahr stürzt, jede Aufregung. ›Gut zueinanderpassen‹ wäre nicht genug. Als würde man erst Wein trinken und dann Salzwasser. Als würde man zwei Menschen im Bett nebeneinanderreihen wie Zahlenkolonnen in einem Hauptbuch. Es passt alles, aber Gold in der Hand ist viel besser.«
Er warf seinen Stift hin. »Was willst du damit sagen?«
»Ich frage mich, was du gedacht hast, als ich dich heute geküsst habe. Kurz vor deinem drohenden Tod durch Zombies dachtest du vielleicht, dass ich es aus Mitleid getan habe – oder um dir einen Grund zum Durchhalten zu geben.«
Holz quietschte, als er aufstand und seine Hände auf den Schreibtisch stützte. »Nein.«
»Ich könnte es dir schlecht vorwerfen. Was kam danach schließlich schon? Crewangelegenheiten und Abendessen und Papierkram. Alles andere als die leidenschaftlichen Reaktionen einer Frau, die am selben Morgen mit einem Kuss verkündet hat, dass ihr Herz erweicht.«
Er mahlte mit den Kiefern. »Warum sagst du das?«
»Weil ich dich gleich so küssen werde, wie ich es möchte. Wie ich es getan hätte, wenn dir nicht Zombies im Nacken gehangen hätten und mir nicht nach unserer Rückkehr eine neue Verantwortung auferlegt worden wäre.« Sie erhob sich langsam. Setzte ein Knie auf die Tischplatte und pirschte sich an ihn heran, bis ihre Lippen fast an den seinen waren. »Weil ich es nicht fassen kann, dass ich dich heute beinahe verloren hätte; weil es noch immer wehtut und ich nur die Augen schließen muss, um sofort wieder zu sehen, wie diese Tür nach innen birst.«
»Dann schließ die Augen nicht«, sagte er sanft.
»Wie könnte ich? Ohne diesen Schmerz, wie hätte ich es da je erfahren?« Sie atmete in seinem Atem, liebte den Duft, die Wärme, ihn . »Also erzähle ich dir das alles, weil du ein Mann von tief empfundenen Gefühlen bist, Archimedes Fox, und ich möchte, dass du weißt: Wir passen perfekt zusammen. «
Für einen langen Moment stockte ihm der Atem. »Du warnst mich also.«
Ihre Lippen kräuselten sich. »Ja.«
»Und Gott steh uns bei!«
»Für das hier gibt es keinen Beistand«, sagte sie.
Sie ging hoch und strich mit den Fingern durch sein Haar. Seidig und dicht, ganz anders als das raue Kratzen seines Kinns unter ihren Lippen. Sie kostete seine Haut, sog seinen berauschenden Geruch in sich auf, erfüllt schon allein davon, noch immer leer und bedürftig nach mehr.
Und als ihr Mund sich über seinem öffnete, war es mehr als Wollen und Bedürftigkeit. Es war Verlangen , der vollkommene Schmerz, so nahe zu sein, aber es doch noch nicht zu haben.
Sie hatte vieles nicht gehabt, hatte anderes nicht gewollt, doch hier war beides, Haben und Wollen, auf einen Mann konzentriert, der sie schlicht so sein ließ, wie sie war. Nicht einmal sie selbst hatte sich das je erlaubt, nicht zur Gänze. Sie hatte nie zugelassen, eine Frau zu sein, die ihr Herz hinter einen Kuss legte. Sie hatte sich nie ganz den Sinneseindrücken eines Männermunds an dem ihren
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