Brook, Meljean - Die Eiserne See
dem Seemann einen goldenen Sou zu und sah zu, dass er Land gewann.
Dieser silberzüngige Mistkerl.
Berauscht und mit sich drehendem Kopf musste Yasmeen viermal zutreten, bevor sie den Hebel richtig traf. Sie kam sich vor wie ausgekotzt: pelzige Zunge, heiß wie im Fieber, Lungenschmerzen. Sie traute ihren Beinen nicht zu, ihr Gewicht zu halten. Diese Wirkung hatte Opium noch nie auf sie gehabt – und es war nicht das erste Mal, dass sie in weniger als einer Stunde zwei Pfeile kassiert hatte. Und doch wollte ihr Verstand sich nicht klären. Ihre Augen brannten. Sie roch Rauch.
Rauch?
»Captain?«
Die Stimme hallte in ihrem Kopf. Yasmeen kämpfte sich auf die Knie hoch, fiel gegen die Tür der Geheimkammer. Die Tür glitt auf, spuckte sie auf den Boden der Kajüte. Das Muster des Teppichs unter ihrer Wange verschwamm. Ihr Gesichtsfeld wurde schmaler, dunkler.
»Captain! Sie müssen kommen!«
Starke Hände packten sie bei den Handgelenken. Wolle versengte ihr den Rücken, und Yasmeen erkannte Ginger, von deren Stirn Blut tropfte und deren Wangen nass von Tränen waren.
Sie zerrte sie auf die Tür zu … weil überall Rauch war.
Ach, Lady! Nein.
Brutal biss Yasmeen sich auf die Zunge. Blut lief ihr in den Mund. Ihr Verstand klärte sich. Sie kämpfte sich auf die Füße. Ginger zog sie hoch.
»Ich stehe.« Und sicher genug. »Zur Glocke, Mädchen! Weck die Crew!«
Ginger schüttelte den Kopf, noch mehr Tränen flossen. Ihre Bluse war voller Blut, begriff Yasmeen. Zu viel, um nur von der Kopfwunde zu stammen. »Sie sind tot, Captain. Sie sind alle tot.«
»Was? Wie?« War der Kessel explodiert? Ohne auf eine Antwort zu warten, lief Yasmeen zum Gang hinaus und rutschte gleich vor der Tür aus. Ihre Hände klatschten gegen die Wand, und sie fing sich ab, bevor –
Oh Gott! Sarah. Thelma. Die beiden Mädchen lagen im Gang, mit durchgeschnittener Kehle.
Yasmeen starrte sie an. Grauen und Fassungslosigkeit ließen Galle in ihre Kehle steigen. Hinter ihr erstickte Ginger fast an ihren Schluchzern.
Yasmeen panzerte sich gegen den Anblick, gegen die Laute, und zog ihre Pistolen. »Wer war das?«
»Konnte ich nicht sehen. Ich bin zu Ihrer Kajüte gelaufen. Die haben mich im Vorbeirennen erwischt.«
Die. Yasmeen hielt den Atem an und lauschte. Keine Schritte. Keine Geräusche, nur ein Knacksen weit unten. »Sind sie immer noch da?«
»Ich glaube nicht. Ich hab die Luken zu den unteren Decks geschlossen, Captain, damit keine Luft mehr nachkommt. Aber sie brennt da unten.«
Brennt. Das Wort fuhr Yasmeen ins Herz, aber sie zwang sich zur Gefühllosigkeit. »Nimm einen Gleiter, Ginger! Flieg zur Vesuvius ! Erzähl Mad Machen alles, was du weißt!«
»Aber –«
Yasmeen wandte sich um und sah das Mädchen an.
Ginger klappte den Mund zu und nickte. »Jawohl, Captain.«
Während das Mädchen den Gleiter von der Wand löste, durchsuchte Yasmeen die restlichen Kabinen des Decks. Niemand ihrer Schiffer war im Bett erwischt worden. Obwohl manche noch im Unterzeug waren, hatte sie alle Dolche oder Pistolen in der Hand oder neben sich liegen.
Sie waren alle tot.
Die Eisenabdeckungen der Luken zu den unteren Decks waren glühend heiß wie Ofenklappen. Zur Rettung ihrer Crew hätte sie eine Verbrennung riskiert, doch wagte sie es nicht, sie zu öffnen. Der Luftsog würde die Flammen zu einer Feuersbrunst anfachen und alle bei lebendigem Leibe verbrennen. Die einzige Hoffnung für die Crew bestand darin, die Lady zu ersäufen.
Bei der Leiter, die an Deck führte, stieß sie auf Ginger. Yasmeen stieg als Erste zum Oberdeck hinauf, aber es war unmöglich, dem Mädchen den Anblick des Blutbads zu ersparen. Yasmeen wappnete sich und bewegte sich vorsichtig durch die Toten zu der Tresse, mit der das Luftschiff am Kai festgemacht war. Sie riss den Kapitänshebel zurück. Ihre Lady erbebte, als das Spill das Stahlseil einzuholen begann und sie hinunter zum Wasser zog.
Ginger kam aus der Luke und faltete den Gleiter auseinander. »Kommen Sie auch, Captain?«
Yasmeen wusste es nicht. »Geh, Ginger! Sofort!«
Das Mädchen lief zum Decksrand und sprang. Ein heißer Aufwind erfasste sie, und der Gleiter schaukelte, aber sie bekam ihn rasch in den Griff.
Damit hatte ein Crewmitglied es lebend hinuntergeschafft. Das konnte unmöglich reichen.
Yasmeen wandte sich zu ihren Leuten um. Zorn und Verzweiflung folgten ihr über das Deck. Pegg, das blonde Haar von Blut verklebt. Peggs Mann, dessen tote Augen noch immer zu seiner Frau
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