Brook, Meljean - Die Eiserne See
Obwohl dort drei Männer – zwei in französischen Marineuniformen, der dritte ebenso schlicht gewandet wie Hassan – an einem Kartentisch standen, auf dem eine große Landkarte ausgebreitet lag, führte der Berater ihn in einen Aufenthaltsraum. Auf einem Schreibtisch lagen weitere Briefrollen. Ein Fenster schaute auf die Gracht hinaus, wo kahle Baumkronen vor Eis und Schnee glitzerten.
Hassan deutete auf zwei Sessel beim offenen Kamin und setzte sich in denjenigen, der dichter am Feuer stand. »Du wirst es mir nachsehen. Die Kälte hierzulande dringt mir bis in die Knochen. Siehst du die grauen Haare?« Er reckte das Kinn, strich sich mit den Fingern durch den lockigen schwarzen Bart. »Ich werde alt. Ist es zehn Jahre her, dass wir uns das letzte Mal gesehen haben?«
»Nicht ganz neun«, sagte Archimedes.
»Ah, ja. Ja.« Ein vages Lächeln umspielte Hassans Lippen. »Ich kann noch immer Temürs Zorn durch die Kasbah hallen hören, als die Nachricht vom Untergang des Frachters kam. Seit jenem Tag hat sich viel geändert. Wenngleich nicht genug .«
Und mit dieser einen Bemerkung kehrte seine Reserviertheit wieder zurück – allerdings unterschied sie sich leicht von derjenigen, die Archimedes von früher kannte. Es schwang in ihr eine Müdigkeit mit, wie sie normalerweise Soldaten zeigten, wenn sie schon zu lange im Krieg waren und noch immer kein Ende abzusehen war.
»Was würdest du denn ändern?«
»Wir haben lange unter der Knute der Horde gestanden, Wolfram, und Temür hat viel geopfert, um das zu ändern. Aber nun ist er selbst zu einer Geißel geworden.«
Vom Rebellen zum Diktator. »Tut mir leid, das zu hören.«
Völlig überraschend kam es jedoch nicht. Wer eine solche Macht auf sich konzentrierte, gab sie so leicht nicht wieder ab; da konnte er noch so gute Absichten gehabt haben.
Hassans knappes Nicken deutete an, dass er das Ganze noch bedauerlicher fand als Archimedes. Ein tiefer Seufzer ließ seine Brust dröhnen. »Du bist immer ein Freund der Aufständischen gewesen, Wolfram. Ich frage mich nun, ob du auch den Rebellen von Rabat ein Freund sein wirst.«
»Ich wusste gar nicht, dass es in Rabat überhaupt Rebellen gibt.«
»Ihre Zahl wächst; Kareem al-Amazigh führt sie an.« Hassan deutete mit dem Kopf in die Richtung des Salons, wo Archimedes den anderen Mann in arabischer Gewandung gesehen hatte. »Er ist vielen von uns eine Inspiration und gemahnt unser Volk an die alten Sitten; nur hat dieses Volk seit Jahrhunderten nicht mehr gekämpft. Wir müssen ein Feuer in den Herzen der Menschen entzünden – wie es in England geschehen ist, als der Fall des Turmes die Revolution entzündet und die Horde vertrieben hat.«
»Nur dass ihr Temür vertreiben wollt«, mutmaßte Archimedes.
»Ja. Und, so Gott es will, einen neuen Mann an seine Stelle setzen – um einen Helden wie den Eisernen Herzog zu schaffen, als er in London den Turm zerstört hat.«
»Und dafür möchtet ihr meine Hilfe?« Archimedes grinste. »Mein Aussehen ist durchaus das eines Helden.«
»Dir fehlte es schon immer am nötigen Ernst. Es ist ein Glück, dass ich dich kenne, anderenfalls müsste ich vermuten, dass du dich über unseren Kampf lustig machst.«
»Aber auf gar keinen Fall.«
»Und darum wollte ich unter vier Augen mit dir sprechen. Kareem weiß nicht, was dich bewegt. Bitte bedenke das, wenn du mit ihm redest!« Er beugte sich vor, wärmte die Hände am Feuer. »Du hast dem Eisernen Herzog Sprengstoff geliefert.«
War das die Hilfe, die Hassan sich von ihm versprach? Archimedes schüttelte den Kopf. »Den ich über Temür beschafft habe. Eine andere Quelle kann ich euch nicht auftun, nicht kurzfristig.«
Und seine Verpflichtung Yasmeen gegenüber ging vor.
Aber Hassan machte eine wegwerfende Handbewegung. »Nein, das ist es nicht, worauf ich hoffe. Wir haben jemanden, der die Waffen liefert, nur fehlt es uns an Geld. Darum wenden wir uns an dich.«
Um an Geld zu kommen? Archimedes musste lachen. »Mein Beutel ist leicht, alter Freund.«
»Du verstehst mich falsch. Ich weiß, dass du nicht mehr vom Schmuggel lebst. Es ist dein neuer Beruf, der uns interessiert. Unser eigenes Volk werden wir nicht ausplündern, aber im Norden gibt es Schätze von großem Wert, und sie haben allesamt keinen Besitzer. Schätze wie die Skizze von da Vinci, die du entdeckt hast.«
Archimedes’ Herz krampfte sich zusammen. »Wo hast du von der Skizze gehört?«
»Es ist allgemein bekannt, dass Temür sie besitzt.«
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