Brook, Meljean - Die Eiserne See
mitarbeiten. Denn nach meiner Überzeugung stellt es eine der großen Tragödien dar, welche die Horde über uns gebracht hat, dass unsere unverheirateten Frauen arbeiten gehen müssen, anstatt von ihren Vätern und Brüdern beschützt und umsorgt zu werden.«
»Eine große Tragödie«, wiederholte Archimedes ernst.
Der hallende Brummton hinter ihm mochte ein Ächzen gewesen sein.
Yasmeen erwachte in dem Bewusstsein, dass sie nicht allein war. Hoffentlich war es nur Archimedes. Ihre Knie schmerzten zu sehr, als dass sie gern mit jemand anders gekämpft hätte.
Ihre Augen passten sich sofort an die Dunkelheit an. Archimedes saß zusammengesunken in dem Lehnstuhl gegenüber dem Bett. Er trug ein Leinenhemd, dessen Saum aus dem Bund seiner hellgrünen Hose gezogen war, und hatte die ausgestreckten Beine an den Knöcheln übereinandergeschlagen. Selbst in entspanntem Zustand zeichneten sich seine Wadenmuskeln deutlich ab. Seine Haut war leicht behaart, und seine Füße waren voller Schwielen. Als sie sich kennengelernt hatten, war sein Kopfhaar von der Sonne gebleicht gewesen, aber der Winter hatte es nachdunkeln lassen. Der Bartschatten an seinem Kinn hatte denselben Farbton.
Yasmeen wollte ihre Wange an diesen dunklen Stoppeln reiben, wollte ihm auf den Schoß klettern und spüren, wie er hart wurde unter ihr. Er hatte geglüht wie ein Ofen. Wahrscheinlich würde er sie wärmer halten als das Bett, und solange das so war, wollte sie sich nicht daran stören, dass er sie nicht anrührte.
Eine Zeit lang jedenfalls. Sie mochte es, angefasst zu werden, sie liebte das langsame Ziehen auf ihrer Haut, das folgte, wenn eine Hand über ihren Bauch strich, den Druck von Fingern, die ihre Wirbelsäule hinabfuhren. Allerdings vertraute sie nur wenigen Männern weit genug, das zuzulassen – und nun hielt sich einer von ihnen zurück, derweil er sich in sie verliebte.
Dummer Mann. Daraus konnte nichts Gutes erwachsen. Ihr Verstand sagte ihr, dass sie ihn bremsen musste. Allerdings hegte sie den Verdacht, dass jeder Versuch ihn nur ermutigen würde. Er war niemand, der den leichten Weg einschlug. Im Gegenteil, er suchte nach den schwierigeren. Was darauf hinauslief, dass sie nichts machen konnte. Die einzige Möglichkeit, ihn zu entmutigen, bestand darin, dass sie leicht zu haben war – und leichter zu haben als sie gestern Nacht konnte eine Frau gar nicht sein.
Vielleicht hatte er ihr unterdrücktes Lachen gehört oder in der Dunkelheit ihr Grinsen schimmern gesehen. Sein Kopf hob sich. »Bist du wach?«, fragte er leise.
Sie ging auf einen Ellbogen hoch. »Wach und am Rätseln, warum du nicht in Island bist und versuchst, die gefrorenen Schenkel der Jungfrauenkulte auseinanderzubekommen. Sie stellen eine weit größere Herausforderung dar als ich.«
»Wenn es mir allein ums Ficken ginge, durchaus. Aber Begierde kenne ich schon, und darauf bin ich nicht aus.« Er machte die Lampe an, deren warmes Glühen den Raum erfüllte. Yasmeen sah zu, wie sein Blick über sie glitt. Sie hatte in einem seiner langen Hemden geschlafen, und der offene Kragen war ihr an einer Schulter hinuntergerutscht. Sie trug ihr Haar zum Schlafen offen, und es ringelte sich über ihren nackten Schultern. Sein Blick blieb kurz an ihren Ohren hängen, dann sah er ihr wieder in die Augen. »Außerdem möchte ich sichergehen, dass ich Begierde nicht mit Liebe verwechsle.«
Das hatte Yasmeen schon getan. »Vielleicht gibt es gar keinen Unterschied. Oder vielleicht weiß man es erst, wenn das eine befriedigt wurde und das andere noch bleibt.«
»Dann werde ich bald ein überaus frustrierter Mann sein.« Er holte tief Luft. »Außerdem sind wir verheiratet.«
Yasmeen grinste. So betrunken war sie gestern nun auch nicht gewesen. »Hat dich die Pensionswirtin erwischt, ja?«
»Ich weiß, wo eine der Skizzen ist.«
Ihre Belustigung verschwand. Sie setzte sich mit einem Ruck auf. »Was? Wo denn?«
»Bei Temür Agha in Rabat. Es geht außerdem das Gerücht um, dass meine Schulden beglichen sind.«
Verdammt noch eins … Ach, was sollte es. So wichtig war Geld nun auch wieder nicht. Rache hingegen schon. »Handelt es sich um die Fälschung?«
»Keine Ahnung. Hoffentlich nicht. Wenn Temür entdeckt, dass die Schuld mit einer Kopie abgegolten worden ist …« Er schüttelte lachend den Kopf.
Temür würde beben vor Zorn. Aber das spielte keine Rolle, denn wenn er die Fälschung besaß, würde Yasmeen ihn töten. »Wir müssen sie uns
Weitere Kostenlose Bücher