Brook, Meljean - Die Eiserne See
Blau dargestellt, und die hohen Gebäude wiesen zahlreiche kunstvoll verzierte Spitztürme auf, die sich zum blassen Himmel reckten.
»Der alte Herr war bei seinem Ableben der Letzte seiner Linie, darum hatte ich Gelegenheit, aus seiner Sammlung diesen Holzschnitt zu erwerben, der eine getreue Reproduktion eines Gemäldes darstellt, das die Habsburger Urahnin einst gemalt hat.«
Yasmeen sah zu Archimedes. »Erwerben« bedeutete zweifelsohne, dass er den Alten erst vergiftet und dann das Bild gestohlen hatte. Reizend.
Ollivier fuhr fort: »Ihr Gemälde ist die letzte mir bekannte Stadtansicht, die von jemandem stammt, der tatsächlich in Wien gewesen ist. Viele andere Ansichten basieren auf älteren Kunstwerken oder sind aus der Erinnerung gezeichnet. Sehen Sie das hier?« Er zeigte auf ein wuchtiges Bauwerk aus Stein im Hintergrund, das fast in den Hügelketten versteckt lag. »Ich habe es in keiner anderen Darstellung je gesehen.«
Archimedes kniff die Augen zusammen und beugte sich über den Holzschnitt. »Das stimmt. Ich habe es auch noch nie gesehen. Aber ich habe auch keine entsprechende Ruine gesehen, als ich in der Stadt gewesen bin.«
»Aber es liegt oben in den Hügeln, sehen Sie? Wenn der umliegende Wald weitergewachsen ist, versperrt er inzwischen vielleicht die Sicht.«
Archimedes nickte. »Gut. Was denken Sie, worum es sich handelt?«
Der Meuchelmörder zog eine weitere Karte von Wien und Umgebung hervor. »Ein Ort, an dem sich das Uhrwerkheer bauen ließe. Er könnte gar nicht besser gelegen sein: nahe genug beim Habsburgwall, dass die Soldaten bei einem drohenden Durchbrechen der Horde noch abgezogen werden konnten, um sie aufzuhalten – zugleich jedoch weit genug entfernt, um die Zeit zu haben, eine Verteidigung aufzustellen.«
»Die Habsburger hatten da Vincis Maschinen auf dieser Seite des Walles.«
»Die aber dafür ausgelegt waren, den Wall zu verteidigen und die Maschinen der Horde zurückzudrängen, und nicht dafür, einen Durchbruch von Reitertruppen zu verhindern. Ein Uhrwerkheer hätte solche Truppen verlangsamen können.«
Archimedes, der diese Möglichkeit sichtlich bezweifelte, sah sich wieder den Holzschnitt an, fragte Ollivier nach Daten und überprüfte die Geschichte der Abbildung. Yasmeen, die nur mit einem Ohr hinhörte, sah ihm dabei zu und bewunderte seine Kinnlinie und sein sorgfältiges Studium der Unterlagen, die Ollivier mitgebracht hatte. Sie hatte nie viele Gedanken darauf verwendet, wie er sich auf seine Abenteuer vorbereitete, aber es war gewiss nicht viel anders als sein jetziges Tun: über alten Karten brüten, Briefe lesen, verschiedene Darstellungen des Vordringens der Horde und des europäischen Rückzugs gegeneinander abgleichen.
Schließlich nickte er. »Uhrwerkheer oder nicht, wenn dieses Bauwerk aus der Zeit stammt, kurz bevor die Zombieinfektion über die Stadt hereingebrochen ist, dann ist es einen Blick wert – wir wollen hoffen, dass die Bauweise solide genug war, dass mehr davon übrig ist als ein Haufen Schutt.«
Ollivier strahlte. Ermutigt suchte er weitere Karten heraus. »Wenn wir dort nichts finden, geht es weiter zum Brenner.«
Zum Brenner? Yasmeen schüttelte den Kopf. Sie fand den Pass auf Olliviers Karte sofort und deutete auf eine Stelle unmittelbar daneben. »Gleich hier ist ein Vorposten der Horde.«
»Was meine Theorie nur stützt. Der Brenner ist seit langer Zeit ein wichtiger Pass. Nach einem Durchbrechen des Walls hätte die Horde nur über diesen Pass auf die italienische Halbinsel strömen können. Und wir wissen aus Briefen von ranghohen Militärs und von Händlern, dass Vorräte und Material zum Pass hinaufgeschickt wurden, außerdem Techniker und Arbeiter. Man hat dort oben irgendetwas gebaut.«
»Da Vincis Maschinen«, sagte Archimedes.
»Die auch. Aber selbst wenn wir dort nicht die Uhrwerksoldaten finden sollten, so ist die Anlage jedenfalls noch nicht untersucht worden. Wir werden in der Festung irgendetwas finden, das sie dort oben gebaut haben. Und im Tiefschnee stellen die Zombies keine solche Bedrohung dar.«
Archimedes bedachte ihn mit einem langen, schwer zu deutenden Blick, dann sah er Yasmeen an. Sie grinste und ließ ihre Zungenspitze zwischen den Zähnen hervorlugen. Seine Schultern zuckten in einem stillen Lachen, und das übertriebene Hochziehen seiner Brauen besagte, wie erstaunt er war, dass es ihr gelang, sich nichts anmerken zu lassen.
Ollivier mochte sich mit Karten auskennen, aber er war eindeutig
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