Brooklyn
wie glücklich sie aussahen: er mit beiden Armen um ihren Hals, in die Kamera grinsend, und sie mit zurückgelehntem Kopf und lächelnd, als habe sie nicht die kleinste Sorge auf der Welt. Sie hatte keine Ahnung, was sie mit diesen Photos tun würde.
Eilis sah, wie ihre Mutter den Himmel beobachtete. Sie wusste, dass sie auf Regen hoffte, weil es ihr eine große Genugtuung bereiten würde, zusammen mit Eilis von Jim mit dem Wagen abgeholt und das kurze Stück zur Kathedrale gefahren zu werden. Es war einer dieser Tage, an denen die Nachbarn sich wegen der Hochzeit nicht genieren würden, sich direkt in ihre Tür zu stellen und Eilis und ihre Mutter in ihrem ganzen Staat zu begutachten und ihnen einen schönen Tag zu wünschen. Und einige dieser Nachbarn, dachte Eilis, wussten bereits, dass sie ein paarmal mit Jim Farrell ausgegangen war, und betrachteten ihn genauso wie ihre Mutter: als eine hervorragende Partie, als jungen Mann, der ein eigenes Geschäft in der Stadt besaß. Von Jim Farrell abgeholt zu werden, würde für ihre Mutter die Krönung all dessen sein, was seit Eilis’ Heimkehr geschehen war.
Als die ersten Regentropfen gegen die Fensterscheibe schlugen, erschien im Gesicht ihrer Mutter ein Ausdruck unverhohlener Zufriedenheit.
»Wir werden es nicht riskieren«, sagte sie. »Ich hätte die ganze Zeit Angst, dass wir nur bis zum Market Square kommen, bevor es richtig lospladdert. Und ich befürchte, dass das Rot auf deine weiße Bluse abfärben würde.«
Ihre Mutter verbrachte die nächste halbe Stunde am Fenster, um zu sehen, ob der Regen vielleicht nachließ oder ob Jim Farrell frühzeitig kam. Eilis blieb in der Küche, sorgte aber dafür, dass alles bereit war, sollte Jim kommen. Irgendwann kam ihre Mutter in die Küche und erklärte, sie sollten ihn ins Wohnzimmer führen, aber Eilis war der Meinung, sie sollten beide schon fertig sein, wenn Jim ankam. Schließlich ging sie mit ihrer Mutter ans Fenster, um hinauszuschauen.
Endlich fuhr Jim vor, machte die Fahrertür auf und stieg, einen Regenschirm in der Hand, schwungvoll aus. Eilis und ihre Mutter eilten hastig in den Flur. Ihre Mutter öffnete die Tür.
»Machen Sie sich keine Sorgen wegen der Zeit«, sagte Jim. »Ichsetze Sie beide direkt vor der Kathedrale ab und suche erst dann einen Parkplatz. Ich glaube, wir haben jede Menge Zeit.«
»Ich wollte Ihnen eine Tasse Tee anbieten«, sagte ihre Mutter.
»Dafür reicht es allerdings nicht mehr«, sagte Jim und lächelte. Er trug einen hellen Anzug, ein blaues Hemd mit blaugestreifter Krawatte und gelbbraune Schuhe.
»Ach, ich glaube, es ist bloß ein Schauer«, sagte ihre Mutter, während sie zum Wagen ging. Eilis sah, dass Mags Lawton von nebenan herausgekommen war und winkte. Sie wartete an der Tür, bis Jim mit dem Schirm zurückkam, aber weder winkte sie zurück noch ermunterte sie Mags zu irgendeinem Kommentar. Gerade als sie die Haustür schloss und zum Wagen ging, sah Eilis, wie sich zwei weitere Türen öffneten, und wusste, dass sich die Nachricht, dass sie und ihre Mutter, elegant herausgeputzt, von Jim Farrell abgeholt worden waren, zum großen Vergnügen ihrer Mutter rasch herumsprechen würde.
»Jim ist ein perfekter Gentleman«, sagte ihre Mutter, als sie die Kathedrale betraten. Ihre Mutter ging langsam, Stolz und Würde ausstrahlend, ohne nach links oder rechts zu schauen; es war ihr vollkommen bewusst, dass sie beobachtet wurde, und sie kostete den Anblick, den sie und Eilis, zu denen sich Jim Farrell bald gesellen würde, in der Kirche boten, in vollen Zügen aus.
Dies war allerdings noch gar nichts, gemessen an dem Anblick Nancys, die in weißem Schleier und einem langen weißen Kleid von ihrem Vater langsam den Mittelgang entlanggeführt wurde, während George sie am Altar erwartete. Als die Messe begann und die Gemeinde sich gesetzt hatte, ertappte sich Eilis, die neben Jim saß, bei einem Gedanken, der ihr schon oft gekommen war, wenn sie frühmorgens wach im Bett lag. Sie fragte sich, was sie tun würde, sollte Jim ihr einen Heiratsantrag machen. Meistens erschien ihr die Vorstellung absurd; sie kannten sich nicht gut genug, also war es unwahrscheinlich. Außerdem sagte sie sich, dass sie alles tun musste, um ihn nicht zu der Frage zu ermutigen,da sie doch außerstande gewesen wäre, ihm etwas anderes als nein zu antworten.
Sie konnte allerdings nicht umhin, sich zu fragen, was Tony antworten würde, wenn sie ihm schriebe, dass ihre Heirat ein Irrtum gewesen war.
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