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Brooklyn

Brooklyn

Titel: Brooklyn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colm Tóibín
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sie dazu ein, näher zu kommen. Er wirkte ernster als George, der in einem fort lächelte, und sie fragte sich, ob das daher kam, dass er als Besitzer eines Pubs viele Leute kannte, zu denen er gleichzeitig eine gewisse Distanz halten musste.
    Sie tanzte den ganzen Abend mit Jim, außer wenn er und George die Partnerinnen wechselten, und dann auch nur kurz. Siewusste, dass die Leute aus der Stadt sie beobachteten und über sie sprachen, besonders als bei den schnellen Stücken deutlich wurde, dass sie und Jim gute Tänzer waren, aber auch später, als die Beleuchtung gedämpft wurde und langsame Stücke kamen und sie engumschlungen tanzten.
    Als der Tanzabend vorbei war, war es draußen noch warm. Jim und sie ließen George und Nancy zum Wagen vorausgehen und sagten ihnen, sie würden bald nachkommen. Den ganzen Tag über hatte sich Jim tadellos benommen: Er hatte sie weder gelangweilt noch geärgert, noch sich ihr je zu sehr aufgedrängt; er hatte sich unendlich rücksichtsvoll gezeigt, mitunter lustig, in passenden Augenblicken bereit zu schweigen, durchweg höflich. Außerdem hatte er sich im Tanzsaal positiv von den anderen Männern unterschieden, von denen manche betrunken und andere zu alt gewesen waren oder so ausgesehen hatten, als seien sie mit dem Traktor nach Courtown gekommen. Er sah gut aus, war elegant und gescheit, und im Verlauf des Abends war sie stolz darauf gewesen, in seiner Begleitung zu sein. Jetzt suchten sie sich ein Plätzchen zwischen einer Pension und einem neuen Bungalow und begannen, sich zu küssen. Jim ging langsam vor; hin und wieder nahm er ihren Kopf in beide Hände, so dass er ihr im Halbdunkel in die Augen schauen und sie leidenschaftlich küssen konnte. Das Gefühl seiner Zunge in ihrem Mund löste in ihr zunächst Behagen aus, dann aber etwas, das echter Erregung nahekam.
    Während der Rückfahrt nach Enniscorthy versuchten sie zu verheimlichen, was sie nebeneinander auf dem Rücksitz taten, gaben es aber schließlich auf, was mit viel Gelächter von seiten Nancys und Georges quittiert wurde.

    Als am Montag morgen die Nachricht überbracht wurde, Eilis solle in die Verwaltung von Davis’s kommen, nahm sie an, es gehe darum, ihren Lohn in Empfang zu nehmen. Als sie ankam, wurde sie bereits von Maria Gethings erwartet.
    »Mr. Brown möchte Sie sprechen«, sagte Maria. »Ich werde nachsehen, ob gerade jemand bei ihm ist.«
    Mr. Brown war Rose’ Chef gewesen und war einer der Eigentümer der Mühle. Eilis wusste, dass er aus Schottland kam, und hatte ihn oft in einem sehr großen, blitzenden Wagen fahren sehen. Ihr war aufgefallen, in welch ehrfürchtigem Ton Maria seinen Namen ausgesprochen hatte. Kurze Zeit später kehrte Maria zurück und sagte, er werde Eilis sofort empfangen. Sie führte Eilis in ein Zimmer am Ende eines Korridors. Mr. Brown saß an einem langen Schreibtisch in einem hohen, lederbezogenen Stuhl.
    »Miss Lacey«, sagte er, stand auf und beugte sich über den Schreibtisch, um Eilis die Hand zu geben. »Als die arme Rose starb, habe ich Ihrer Mutter geschrieben, und wir waren sehr bestürzt, und ich habe mich gefragt, ob ich auch hätte anrufen sollen. Wie ich höre, sind Sie aus Amerika zurück, und Maria sagt, Sie hätten ein Diplom in Buchführung. Ist es amerikanische Buchführung?«
    Eilis erklärte, sie glaube nicht, dass zwischen den zwei Methoden ein großer Unterschied bestehe.
    »Das nehme ich auch nicht an«, sagte Mr. Brown. »Wie auch immer, Maria war äußerst zufrieden damit, wie Sie letzte Woche die Lohnauszahlungen erledigt haben, aber bei Rose’ Schwester hat uns das natürlich nicht gewundert. Rose war der Inbegriff der Effizienz, und sie fehlt uns sehr.«
    »Rose war mir ein großes Vorbild«, sagte Eilis.
    »Vor Ende der Hauptsaison«, fuhr Mr. Brown fort, »ist es für uns schwer abzuschätzen, inwieweit in der Verwaltung Personalbedarf besteht, aber langfristig dürften wir mit Sicherheit eine Buchhalterin brauchen, die sich auch mit Lohnbuchhaltung auskennt. Wir möchten aber, dass Sie auf Teilzeitbasis die Lohnzahlungen weiterhin erledigen, und später können wir uns noch einmal unterhalten.«
    »Ich fahre in die Vereinigten Staaten zurück«, sagte Eilis.
    »Nun ja, natürlich«, sagte Mr. Brown. »Aber wir unterhalten uns noch einmal, bevor Sie irgendwelche endgültigen Entscheidungen treffen.«
    Eilis wollte schon sagen, dass sie bereits eine endgültige Entscheidung getroffen hatte, aber da Mr. Browns Ton zu verstehen gab, dass er

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