Brooklyn
eigentlich bloß, um zu sagen, dass ich in ungefähr einem Monat nach Amerika gehe«, sagte Eilis. »Ich werde dort arbeiten, und ich wollte Ihnen so früh wie möglich Bescheid geben.«
Miss Kelly trat vom Ladentisch zurück. »Tatsächlich?« fragte sie.
»Aber bis ich fahre, werde ich sonntags natürlich weiterhin kommen.«
»Willst du ein Zeugnis, ist es das?«
»Nein. Ganz und gar nicht. Ich wollte Ihnen nur Bescheid geben.«
»Na, das ist ja eine schöne Geschichte. Dann werden wir dich also nur noch zu sehen kriegen, wenn du im Urlaub nach Hause kommst, falls du dann immer noch mit unsereinem redest.«
»Ich bin am nächsten Sonntag da«, sagte Eilis.
»O nein, wir werden dich gar nicht brauchen. Wenn du gehst, dann am besten gleich.«
»Aber ich könnte kommen.«
»Nein, das kannst du nicht. Man würde über dich tratschen, und es gäbe zuviel Ablenkung, und wie du weißt, haben wir sonntags auch so schon sehr viel zu tun.«
»Ich hatte gehofft, ich könnte bis zu meiner Abreise arbeiten.«
»Hier jedenfalls nicht. Also verzieh dich jetzt. Wir haben viel zu tun, mehr Lieferungen als sonst und mehr einzuräumen. Und keine Zeit zu schwatzen.«
»Also dann herzlichen Dank.«
»Gleichfalls.«
Als sich Miss Kelly nach hinten in Richtung Lagerraum entfernte, wartete Eilis, ob Mary sich umdrehte, so dass sie sich von ihr würde verabschieden können. Da Mary sich aber nicht umdrehte, verließ Eilis leise den Laden und ging nach Haus.
Miss Kelly war der einzige Mensch, der die Möglichkeit ausgesprochen hatte, sie könnte im Urlaub nach Haus kommen. Sonst tat das niemand. Bis jetzt war Eilis immer davon ausgegangen, dass sie ihr ganzes Leben in der Stadt verbringen würde, genau wie ihre Mutter, dass sie jeden kennen, immer dieselben Freundinnen und Nachbarn haben, dieselben Wege durch dieselben Straßen gehen würde. Sie hatte erwartet, dass sie in der Stadt eine Stelle finden und dann jemanden heiraten und die Arbeit aufgeben und Kinder bekommen würde. Jetzt hatte sie das Gefühl, für etwas auserwählt worden zu sein, auf das sie in keiner Weise vorbereitetwar, und das löste in ihr, trotz der Angst, die das mit sich brachte, ein Gefühl aus, oder besser gesagt, eine ganze Reihe von Gefühlen, von denen sie sich vorgestellt hatte, sie würde sie in den Tagen vor ihrer Hochzeit erleben – Tagen, in denen alle sie im Trubel der Vorbereitungen mit glänzenden Augen ansähen, Tagen, in denen ihr selbst vor Aufregung ganz schwindlig würde, da sie aber vorsichtshalber nicht allzugenau darüber nachdenken wollte, was die nächsten paar Wochen bringen würden, um nicht die Nerven zu verlieren.
Kein Tag verging, ohne dass irgend etwas passierte. Die Formulare, die von der Botschaft kamen, wurden ausgefüllt und zurückgeschickt. Sie fuhr mit dem Zug nach Wexford zu einer, wie sie fand, recht oberflächlichen ärztlichen Untersuchung, bei der der Arzt sich schon mit der Auskunft zufriedenzugeben schien, dass es in ihrer Familie nie Fälle von Tuberkulose gegeben hatte. Father Flood schickte weitere Informationen, wo sie nach ihrer Ankunft wohnen und wie weit sie es von dort zu ihrer Arbeitsstelle haben würde; es kam die Fahrkarte für das Schiff nach New York, das von Liverpool abfahren würde. Rose gab ihr etwas Geld für Kleider und versprach, dass sie ihr Schuhe und eine vollständige Garnitur Unterwäsche kaufen würde. Im Haus herrschte eine ungewöhnliche, fast unnatürliche Heiterkeit, und die gemeinsamen Mahlzeiten waren erfüllt von zuviel Gesprächen und Gelächter. Das erinnerte sie an die Wochen vor Jacks Abreise nach Birmingham, in denen sie alles unternommen hatten, um sich von dem Gedanken abzulenken, dass sie kurz davor standen, ihn zu verlieren.
Eines Tages, als eine Nachbarin vorbeikam und zusammen mit ihnen in der Küche Tee trank, ging Eilis auf, dass ihre Mutter und Rose alles taten, um ihre Gefühle zu verbergen. Die Nachbarin sagte, fast beiläufig, bloß um Konversation zu machen: »Sie wird Ihnen fehlen, wenn sie weg ist, glaube ich.«
»Ach, es wird mich umbringen, wenn sie geht«, erwiderte ihreMutter. Ihr Gesicht hatte einen finsteren, angestrengten Ausdruck, den Eilis seit den Monaten nach dem Tod ihres Vaters nicht mehr bei ihr gesehen hatte. Dann, in den folgenden Minuten, während denen die Nachbarin sich über den Ton ihrer Mutter zu wundern schien, wurde die Miene ihrer Mutter fast noch finsterer, und sie stand schließlich auf und ging wortlos aus dem Zimmer. Es war
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