Brooklyn
dem er sie, solange er nicht direkt nach oben links schaute, nicht sehen würde. Es war unwahrscheinlich, dachte sie, dass er in ihre Richtung blicken würde, da seine ganze Aufmerksamkeit den Studenten zu gelten schien, die in der Eingangshalle kamen und gingen. Als sie den Blick nach unten richtete, sah sie, dass er nicht lächelte; trotzdem wirkte er vollkommen entspannt und neugierig. Es hatte etwas Hilfloses, wie er da stand; seine Bereitschaft, glücklich zu sein, sein Eifer machten ihn seltsam verletzlich. Das Wort, das ihr in den Sinn kam, als sie hinunterschaute, war »entzückt«. Er war grundsätzlich von den Dingen entzückt, ebenso wie er von ihr entzückt war, und er hatte das immer deutlich gemacht. Und dennoch schien dieses Entzücken von einem Schatten begleitet zu sein, und während sie ihn beobachtete, fragte sie sich, ob dieser Schatten nichts anderes als sie selbst war, in all ihrer Unsicherheit und Distanziertheit. Ihrkam der Gedanke, dass er wirklich so war, wie er ihr erschien; er hatte gar keine andere Seite. Plötzlich erschauderte sie vor Angst, wandte sich ab, ging die Treppe hinunter und, so schnell sie konnte, durch die Halle auf ihn zu.
Er erzählte ihr von seiner Arbeit und von zwei jüdischen Schwestern, die, als er ihr Warmwasser repariert hatte, ihn hatten verköstigen wollen, eine riesige Mahlzeit für ihn parat gehabt hatten, obwohl es erst drei Uhr nachmittags war. Er machte ihren Akzent nach. Obwohl er so sprach, als sei am vergangenen Freitag abend nichts zwischen ihnen geschehen, wusste Eilis, dass dieses lustige schnelle Erzählen, bei dem Geschichte auf Geschichte folgte, während sie zur Straßenbahn gingen, für einen Donnerstag abend ungewöhnlich war und zum Teil vorgeben sollte, dass es keinerlei Problem gegeben hatte und auch jetzt keines gab.
Als sie sich ihrer Straße näherten, wandte sie sich zu ihm. »Ich muss dir etwas sagen.«
»Ich weiß.«
»Erinnerst du dich, wie du mir gesagt hast, dass du mich liebst?«
Er nickte. Er sah traurig aus.
»Ich wusste wirklich nicht, was ich sagen sollte. Also sollte ich jetzt vielleicht sagen, dass ich über dich nachgedacht habe und dass ich dich mag. Ich bin gern mit dir zusammen, ich hab dich gern, und vielleicht liebe ich dich auch. Und wenn du mir das nächstemal sagst, dass du mich liebst –«
Sie verstummte.
»Was dann?«
»Dann sage ich, dass ich dich auch liebe.«
»Bist du dir sicher?«
»Ja.«
»Heilige Scheiße! Verzeihung, aber ich dachte wirklich schon, du wolltest mir sagen, dass du mich nie wiedersehen willst.«
Sie stand neben ihm und sah ihn an. Sie zitterte.
»Du siehst nicht so aus, als ob du es ernst meinen würdest«, sagte er.
»Ich meine es ernst.«
»Und, warum lächelst du dann nicht?«
Sie zögerte, und dann lächelte sie schwach. »Darf ich jetzt nach Haus?«
»Nein. Ich möchte ein paar Freudensprünge machen. Darf ich das?«
»Aber leise«, sagte sie und lachte.
Er sprang in die Luft und wedelte dabei mit den Händen.
»Nur damit wir uns richtig verstehen«, sagte er, als er wieder auf sie zukam. »Du liebst mich?«
»Ja. Aber stell mir keine weiteren Fragen, und red nicht wieder von Kindern, die Dodgers-Fans werden sollen.«
»Was? Du willst Kinder, die zu den Yankees halten? Oder den Giants?«
Er lachte.
»Tony?«
»Was?«
»Dräng mich nicht.«
Er küsste sie und flüsterte ihr etwas zu, und als sie vor Mrs. Kehoes Haus waren, küsste er sie wieder, bis sie ihm sagen musste, dass er aufhören sollte, weil sie sonst bald Zuschauer haben würden. Am nächsten Abend musste sie zwar lernen und würde nicht zum Tanzen können, aber sie willigte ein, mit ihm einen Spaziergang zu machen, wenn auch nur um den Block.
Die Prüfungen waren einfacher, als sie erwartet hatte; selbst die Fragen für die Juraklausur waren leicht und erforderten lediglich die elementarsten Kenntnisse. Sie war zwar erleichtert, als es vorbei war, aber sie wusste auch, dass sie jetzt keine Ausrede mehr haben würde, wenn Tony Pläne machen wollte. Es fing damit an, dass er sie für einen bestimmten Abend zu seinen Eltern zum Essen einlud. Das machte ihr Sorgen, da sie glaubte, dass er ihnen ohnehin schon zu viel über sie erzählt hatte; es war ihr klar, dass er sie ihnen jetzt als etwas mehr als lediglich eine Freundin vorstellen würde.
Als er sie am fraglichen Abend abholte, war er entspannt. Es war noch hell, die Luft war warm, und die Kinder spielten auf den Straßen, während ältere Leute auf
Weitere Kostenlose Bücher