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Brooklyn

Brooklyn

Titel: Brooklyn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colm Tóibín
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wirklich wünsche?« fragte er. »Ich wünsche mir, dass unsere Kinder Dodgers-Fans werden.«
    Er war offenbar so erfreut und begeistert über die Vorstellung, dass er gar nicht merkte, wie ihr Gesicht erstarrte. Sie konnte es nicht erwarten, allein zu sein, um über das, was er gerade gesagt hatte, in Ruhe nachdenken zu können. Später, als sie auf ihrem Bett lag und sich alles durch den Kopf gehen ließ, wurde ihr bewusst, dass das mit allem übrigen zusammenpasste: erst kürzlich hatte er Pläne für den Sommer gemacht und ausgerechnet, wieviel Zeit sie miteinander verbringen würden. Und er hatte auch vor kurzem angefangen, ihr nach jedem Kuss zu sagen, dass er sie liebte. Sie wusste, dass er auf eine Erwiderung wartete, eine Erwiderung, die bislang ausgeblieben war.
    Jetzt stellte er sich schon vor, dass er sie heiraten und mit ihr Kinder haben würde und dass die Dodgers-Fans sein würden. Das war einfach zu lächerlich, dachte sie, etwas, was sie niemandem erzählen konnte, Rose mit Sicherheit nicht und Miss Fortini wahrscheinlich auch nicht. Aber das war nichts, was er sich plötzlich ausgedacht hatte; sie gingen jetzt seit fast fünf Monaten miteinander, und es hatte bislang nicht einen einzigen Streit, nicht ein einziges Missverständnis gegeben – es sei denn, genau das,seine Absicht, sie zu heiraten, wäre ein einziges riesiges Missverständnis.
    Er war rücksichtsvoll und interessant und sah gut aus. Sie wusste, dass er sie gern hatte, nicht nur, weil er es sagte, sondern auch wegen der Weise, wie er auf sie einging und ihr zuhörte. Alles stimmte, und sie konnten sich auf den langen Sommer freuen, wären die Prüfungen erst einmal vorbei. Ein paarmal hatte sie im Tanzsaal oder sogar auf der Straße einen Mann gesehen, der ihr irgendwie gefiel, aber es war jedesmal nur ein flüchtiger Gedanke gewesen, der nicht länger als ein paar Sekunden Bestand gehabt hatte. Die Vorstellung, wieder zusammen mit ihren Mitbewohnerinnen an der Wand zu sitzen, erfüllte sie mit Grauen. Und dennoch wusste sie, dass Tony in Gedanken schneller vorging als sie, und dass sie ihn würde bremsen müssen, aber sie hatte keine Ahnung, wie sie das hätte bewerkstelligen können, ohne ihm gegenüber unfreundlich zu sein.
    Am folgenden Freitag, während sie aneinandergeschmiegt nach dem Tanzen heimgingen, flüsterte er ihr wieder einmal zu, dass er sie liebte. Als sie keine Reaktion zeigte, begann er, sie zu küssen, und flüsterte es ihr dann noch einmal zu. Unwillkürlich machte sie sich von ihm los. Als er sie fragte, was los sei, gab sie keine Antwort. Dass er gesagt hatte, er liebe sie, und eine Antwort von ihr erwartete, machte ihr angst, gab ihr das Gefühl, dass sie sich damit würde abfinden müssen, dass dies das einzige Leben war, das sie jemals führen würde: ein Leben fern von daheim. Als sie vor Mrs. Kehoes Haus angekommen waren, dankte sie ihm fast förmlich für den Abend, wünschte ihm, ohne ihn anzusehen, gute Nacht und ging hinein.
    Sie wusste, dass es unrecht war, was sie getan hatte, dass er jetzt leiden würde, bis er sie am Donnerstag wiedersah. Sie fragte sich, ob er vielleicht am Samstag vorbeikommen würde, aber er kam nicht. Ihr fiel nichts ein, womit sie hätte begründen können, dass sie ihn weniger häufig sehen wollte. Vielleicht, dachte sie,sollte sie ihm sagen, dass sie nicht über ihre gemeinsamen Kinder reden wollte, wo sie sich doch erst so kurz kannten. Aber dann würde er sie wahrscheinlich fragen, ob sie es nicht ernst mit ihm meinte, und sie wäre gezwungen, ihm zu antworten, irgend etwas zu sagen. Und wenn sie ihn nicht vorbehaltlos ermutigte, dann konnte sie ihn verlieren. Er war nicht der Typ, dem es gefallen würde, eine Freundin zu haben, die sich nicht sicher war, wie sehr sie ihn mochte. Sie kannte ihn gut genug, um das zu wissen.
    Als sie am Donnerstag aus dem Unterrichtsraum herauskam und die Treppe hinunterstieg, sah sie ihn, aber er sie nicht; es waren zu viele Studenten unterwegs. Sie blieb einen Moment stehen und merkte, dass sie nach wie vor keine Ahnung hatte, was sie ihm sagen sollte. Vorsichtig stieg sie die Treppe wieder hinauf und stellte fest, dass sie ihn vom ersten Absatz aus von oben würde sehen können. Sie hoffte, wenn sie ihn ansehen, ihn in Ruhe betrachten könnte, wenn er nicht gerade versuchte, sie zum Lachen zu bringen oder sie zu beeindrucken, würde sie irgendwie zu einer Erkenntnis gelangen oder eine Entscheidung treffen können.
    Sie fand einen Punkt, an

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