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Brooklyn

Brooklyn

Titel: Brooklyn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colm Tóibín
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dass er ebenfalls Italiener war, wurden sie noch geiziger. Die irischen, musste er zu seinem Leidwesen sagen, waren in jedem Fall geizig und knauserig.
    »Die sind wirklich schlimm. Die sind unglaublich knickrig, diese Iren«, sagte er und grinste sie an.
    Jeden Samstag ging er mit ihr ins Kino; oft fuhren sie mit der U-Bahn nach Manhattan, um einen Film zu sehen, der gerade angelaufen war. Bei der ersten dieser Verabredungen, als sie sichfür Singin’ in the Rain anstellten, wurde ihr bewusst, dass ihr vor dem Augenblick graute, da es im Saal dunkel werden und der Film anfangen würde. Sie tanzte gern mit Tony, mochte es, wie sie sich bei den langsamen Stücken nach und nach näher kamen, und sie mochte es, wenn er sie nach Hause begleitete und sie warteten, bis sie in der Nähe von Mrs. Kehoes Haus waren, aber nicht zu nah, bevor er sie küsste. Und dass er ihr niemals, noch kein einziges Mal das Gefühl gegeben hatte, sie müsste seine Hand wegschieben oder sich von ihm zurückziehen. Jetzt allerdings, bei ihrem ersten gemeinsamen Film, war sie überzeugt, dass sich etwas zwischen ihnen ändern müsste. Als sie in der Schlange standen, war sie fast versucht, es auszusprechen, um etwaige unerfreuliche Erlebnisse im Dunkeln zu vermeiden. Sie hätte ihm am liebsten, so beiläufig wie möglich, gesagt, dass sie eigentlich lieber den Film sehen wollte als mit ihm im Kino zwei Stunden lang zu schmusen und zu knutschen.
    Nachdem er die Eintrittskarten gekauft hatte, kaufte er auch Popcorn und dirigierte sie zu ihrer Überraschung nicht etwa zur hintersten Sitzreihe, sondern fragte sie, wo sie am liebsten sitzen würde, und schien ganz zufrieden damit zu sein, in der Mitte zu sitzen, wo man am besten sah. Zwar legte er ihr den Arm um die Schulter und flüsterte ihr ein paarmal etwas zu, aber das war auch alles. Als sie anschließend auf die U-Bahn warteten, war er so gut gelaunt und hatte den Film so genossen, dass sie eine unendliche Zärtlichkeit für ihn verspürte und sich fragte, ob sie jemals eine Seite von ihm erleben würde, die unangenehm war. Als sie regelmäßiger ins Kino gingen, merkte sie bald, dass er nach einem traurigen Film oder einem Film mit verstörenden Szenen oft schweigsam und grüblerisch war, in einem privaten deprimierten Traum befangen, aus dem man ihn nur ganz allmählich herausholen konnte. Genauso veränderte sich sein Gesichtsausdruck, wenn sie ihm etwas Trauriges erzählte, und er hörte auf zu scherzen und wollte noch einmal über das reden,was sie ihm gesagt hatte. Sie hatte noch nie jemanden wie ihn kennengelernt.
    Sie schrieb Rose über ihn, an die Büroadresse, erwähnte ihn aber in Briefen an ihre Mutter oder ihre Brüder nicht. Sie versuchte, ihn Rose zu beschreiben, zu schildern, wie rücksichtsvoll er war. Sie fügte hinzu, dass sie wegen ihres Collegekurses keine Zeit hatte, sich mit ihm und seinen Freunden zu treffen oder seine Familie zu besuchen, obwohl er sie schon zu sich nach Haus eingeladen hatte, zum Essen mit seinen Eltern und seinen Brüdern.
    Als Rose antwortete, fragte sie, was er von Beruf sei. Eilis hatte diesen Punkt bewusst ausgespart, da sie wusste, Rose würde sich für sie einen Verehrer wünschen, der in einem Büro arbeitete, bei einer Bank oder einer Versicherungsgesellschaft. Als sie zurückschrieb, versteckte sie die Information, dass er Klempner war, in der Mitte eines Absatzes, aber ihr war klar, dass Rose sie finden und sich darauf stürzen würde.
    Als sie kurz darauf eines Freitag abends zusammen den Tanzsaal betraten, beide gut gelaunt, da die grimmige Kälte nachgelassen hatte und Tony vom Sommer gesprochen hatte und dass sie dann nach Coney Island fahren könnten, trafen sie Father Flood, der ebenfalls einen vergnügten Eindruck machte. Merkwürdig fand es Eilis allerdings, wie lang er sich mit ihnen unterhielt und wie hartnäckig er darauf bestand, dass sie ein Soda mit ihm tranken. Das brachte sie auf den Gedanken, dass Rose Father Flood geschrieben hatte und er hier war, um sich einen Eindruck von Tony zu verschaffen.
    Eilis war fast stolz auf Tonys ungezwungen gute Manieren, auf die zwanglose Art, wie er auf den Priester einging und dabei stets respektvoll blieb, den Priester reden ließ und nie ein einziges unpassendes Wort sagte. Rose hatte bestimmt eine klare Vorstellung davon, wie ein Klempner aussah und wie er redete. Sie dachte sicher, dass er etwas ungehobelt und unbeholfen war und Grammatikfehler machte. Eilis beschloss, ihr zu

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